Kriegstagebücher – Balve im Krieg

Die „Kriegstagebücher“ von Katharina Allhoff und Mathilde Werthschulte wurden im Jahr 1914 begonnen. Sie waren vermutlich in der gleichen Volksschulklasse (Lehrerin Frl. Hoppe?). Das Thema war offenbar durch die Schule vorgegeben. (Pdf mit Fotos)

Die Texte im Tagebuch von Katharina Allhoff gehen teilweise weit über die Aufgabenstellung hinaus und liefern einen eindrucksvollen Einblick in den Kriegsverlauf und die Auswirkungen des 1. Weltkriegs auf die Bevölkerung. Die Lebensumstände in Balve, aber auch die schulische Indoktrination im Zuge des Krieges werden plastisch erlebbar. Die Texte gehen unter die Haut.

Katharina Allhoff hat mit Beginn des zweiten Weltkriegs, nun bereits als praktizierende Ärztin, erneut begonnen Tagebuch zu führen. Das Kriegstagebuch 1938-45 hat sie auch in der Nachkriegszeit weiter geführt bis etwa 1960. Das Buch ist als „Chronik“ veröffentlicht.


Von Katharina Allhoff
geb. 06.03.1906

Balve, den 2. August 1914

Krieg !!!

In den letzten Wochen hörte man viel vom Kriege sprechen. Die Leute waren alle sehr gespannt, was es wohl geben würde. Der eine wusste noch mehr zu erzählen wie der andere. Gestern war der große Tag. Die ernste Stunde traf Deutschland nicht unvorbereitet. Der Kaiser hat an Russland den Krieg erklärt. Ich kam um 12:00 Uhr aus der Schule. Als ich in die Stube kam, erzählte Mutter mir, dass es Krieg geben würde. Vater saß am Tische und las die Zeitung. Den ganzen Nachmittag sah man Leute zusammenlaufen und sich etwas erzählen. Man sah heute viel mehr noch wie sonst zur Kirche gehen. Sie wollten beichten. Um 7:00 Uhr hörten wir die Schelle. Alle Leute liefen auf die Straße. Es wurde ausgeschellt, dass die Mobilmachungstage bis zum 5. August einschließlich dauern sollten. Männer und Jünglinge waren sehr begeistert. Man hörte schon Vaterlandslieder singen. Manche Frauen und Männer waren in banger Sorge. Die Leute bestürmten die Läden, um einzukaufen. Sie dachten gewiss, im Kriege gäbe es nichts mehr. Mutter hat auch bei Stüeken etwas vorgekauft, aber nicht so viel wie manche andere.

Heute, Sonntag, war die Kirche überfüllt von Leuten. Sie wollten alle die heilige Kommunion empfangen. Das Austeilen der heiligen Kommunion dauerte sehr lange. Gegen 1/2 9 Uhr hörten wir Musik vom Meller Schad her. Es kamen die Krieger von Mellen. Im Marschschritt zogen sie dem Bahnhof zu. Mancher sah ihnen wehmütig nach. Auch viele Krieger von Balve mussten die Heimat verlassen. Sie wurden mit Musik zum Bahnhof begleitet. Fast ganz Balve ging mit zum Bahnhof. Wie mancher Krieger hatte die Hand seines Kindes fest in der seinigen. Wie manche Frau sah ihren Mann heute zum letzten Mal. Wie manche Träne floss zur Erde.

Ich war auch am Bahnhof. Um 9:20 Uhr fuhr der Zug ab. Jetzt gab es ein Winken und ein Hände reichen. Die Krieger sangen: »Ich hatt einen Kameraden«. Sie wollten ihren Angehörigen den Abschied nicht so schwer machen. Aber wie mochte es ihnen ums Herz sein? Als der Zug fort war, gingen die Leute traurig nach Hause. Es war, als ob sie von einem Begräbnis gekommen wären. Um ½ 10 Uhr begann das Hochamt. Herr Pastor hielt eine ernste Predigt. Viele konnten die Tränen nicht zurückhalten. Er ermahnte uns, tüchtig für unser Vaterland zu beten. Den Kriegern, welche noch fortziehen mussten, sprach er Mut zu und versprach ihnen, dass wir für sie beten wollten. Uns ermahnte er zum Gottvertrauen. Das wollen wir uns nicht nehmen lassen.

Oh mein Christ, lass Gott nur walten.
Wer auf ihn sich ganz verlässt, dessen Glück steht felsenfest.

Balve den 4. August 1914

Weitere Krieger ziehen fort. Gestern und heute mussten wieder viele Männer und Jünglinge fort. Ich war jedes Mal am Bahnhof. Noch viele andere Kinder waren dort. Auch viele Erwachsene, welche keine Krieger unter den Fortziehenden hatten, waren dort. Sie wollten den Kriegern ihre Teilnahme beweisen. Bald kam der Zug. Die Krieger stiegen ein. Jeder wollte ihnen noch einmal die Hand reichen. Langsam setzte sich der Zug in Bewegung. Die Krieger sangen: »Morgenrot, Morgenrot, leuchtest mir zum frühen Tod«. Die Kinder gingen auf die Bahnbrücke, um den Zug noch länger zu sehen. Wir hörten, dass die Erwachsenen den Kriegern nachriefen: »Lebet wohl! Auf Wiedersehen!«

Balve den 8. August 1914

Hurra! Der erste Sieg!

Es schallte am 8. August durch Balve. Alles lief zur Post. Dort war die erfreuliche Nachricht angeschlagen. Plötzlich hörten wir feierliches Läuten. Der Sieg wurde geläutet. Wir alle freuten uns sehr. Hier und da hörte man auch singen: »Deutschland, Deutschland über alles!«.

Schulfrei!

Montagmorgen sprach der Herr Lehrer vom Krieg. Am Nachmittag brauchten wir schon nicht mehr in die Schule. Wir hatten Kriegsferien. Wer kann aber auch in die Schule gehen, wenn Krieg ist? Wir freuten uns sehr. Ich sang: »Es braust ein Ruf wie Donnerhall!« und andere schöne Vaterlandslieder.

Unsere Familie und der Krieg

Aus unserer Familie musste auch einer in den Krieg. Oheim [ein Onkel] ist am Montag von Bochum abgefahren. Vor der Mobilmachung schrieb er uns einen schönen Brief. Er schrieb, dass wir jedes Opfer für das Vaterland ertragen müssten. Wenn er fallen würde, so sollten wir ihm einen einfachen, unbehauenen Stein setzen. Darauf sollte nur die Inschrift stehen: »Er starb den Heldentod für´s Vaterland«. Er schrieb auch: »Meine Lieben, in dieser ernsten Stunde sind wohl ernste Worte am Platze. Vergesst uns nicht, wenn wir draußen im Kugelregen stehen und wenn ich nicht wiederkomme, dann gedenkt meiner auch fernerhin. Die Sachlage ist ernst, aber ich bin stolz darauf, die Familie Allhoff im Kriege vertreten zu können. Wo fünf gesunde Söhne sind, da sollten fünf im Felde stehen, wenn das Vaterland ruft. Nun trauert nicht, wenn wenigstens einer mit ins Feld rückt«. Tante war am Sonntag nach Bochum. Im Elisabeth Hospital seien sie auch aufgeregt gewesen. Oheim habe angegriffen ausgesehen. Er ließ uns alle grüßen. Am anderen Tage fuhren Vater und Tante nach Allendorf, weil Onkel Ernst auch vielleicht fort muss. Unterwegs sind ihnen die Langenholthauser Krieger begegnet, die zur Bahn gingen. Sie hatten sehr ernst und manche ganz traurig ausgesehen. Vater und Tante hatten ihnen nachgesagt: »Sie kommen bald wieder. Wir denken an sie«. Onkel Ernst war ganz begeistert gewesen, aber auch besorgt für Oheim. Sofort braucht er noch nicht weg.

Kriegsandacht

Jeden Abend um halb 8 Uhr ist jetzt Kriegsandacht. Bei ausgesetztem hochwürdigsten Gute [Monstranz] wird der Rosenkranz gebetet. Vorher wird gesungen: »Wir beten an dich wahres Engelbrot« oder »Jesu, du bist hier zugegen!« Nachdem der Rosenkranz gebetet ist, wird ein schönes ergreifendes Kriegsgebet gebetet. Wir bitten darin: Für unseren Kaiser, unser Vaterland, für unsere tapferen Soldaten, unsere Brüder, für die Witwen, die Mütter, Schwestern und Brüder, welche die Ihrigen im Felde wissen, für die Gattinnen und für alle, welche unter dem Kriege viel zu ertragen haben. Für unsere Gefallenen und sterbenden Krieger beten wir auch in diesem Gebet. Einige Stellen in diesem Gebete sind: »Herr Gott der Heerscharen, Lenker unserer Geschicke, in deiner Hand liegen Krieg und Frieden, Sieg oder Niederlage. Herr hilf unserem Kaiser, hilf unserem Vaterland, hilf unseren braven Soldaten! In deinem Namen haben wir das Schwert ergriffen, in deinem Namen lass uns auch siegen«. Nach diesem Gebete wird der Segen gegeben. Danach wird noch ein Lied gesungen.

In Siegen wird ein schönes Lied gesungen. Mutter hat es in das Gesangbuch geschrieben. Ich lass es jetzt folgen:

»Es kniet an des Altares Stufen dein treues Volk in schwerer Zeit.
Vernimm sein Beten, Flehen, Rufen, erzeige uns Barmherzigkeit!
Herz Jesu, unsere Zuversicht, im harten Streit verlass uns nicht!

Herr, wenn du willst, du kannst uns helfen. Sei gnädig und verstoß uns nicht.
Oh lass uns nicht vergebens kämpfen und sei uns Schutz und Heil und Licht!
Gib Kraft und Mut dem deutschen Heer. Sieg auf dem Land, Sieg auf dem Meer.

Zeig dich der Welt als Heiland wieder, als Retter aus der schweren Not!
Schlag unserer Feinde Ansturm nieder mit deiner Gottheit Machtgebot!
Gib deiner lieben Christenheit bald Frieden nach dem langen Streit!«

…. den 28 August 1914

Der hl. Vater ist gestorben

Der 20. August war ein Trauertag für die katholische Kirche. Ich hörte es von Heinrich Falke vor Wiecks Haus. Ich erzählte es unseren Lehrern und meiner Tante. Das war ein harter Schlag für uns. Schon am Mittag hing die schwarze Fahne auf dem Kirchturm. Einige Tage später war das feierliche Seelenamt für den Heiligen Vater. Die Mädchen holten Grün und wanden davon einen Kranz. Dieser schmückte die Tumba [Sargattrappe in der Kirche: Fürbitten für den Verstorbenen]. Ein Bild vom Heiligen Vater, welches Kleins geliehen hatten, war auf der Tumba. Weit um die Tumba standen viele schöne Blumen. Acht Tage hindurch wurde von 12 bis 1 Uhr geläutet. Der Heilige Vater ist gewiss aus Gram über das Unglück, welches Europa getroffen hat, gestorben.

Namur ist erobert, Longwy und Luneville

Vorgestern fiel die Festung Namur. Unsere Tapferen haben die Festung nach viertägigem, hartem Kampfe erobert. Die Nachricht stand an der Post angeschlagen. Welch ein Getümmel in Balve! Alles lief zur Post. Diese Freudennachricht wollte jeder lesen. Männer und Knaben, welche die Nachricht gelesen hatten, eilten auf den Kirchturm. Sie wollten läuten helfen. Es wurde in mehreren Pausen geläutet. Gestern hörten wir auch, dass Longwy und Luneville erobert seien. Es war abermals ein großer Jubel in Balve.

19. September 1914

Liebestätigkeit

In diesen Tagen bekamen wir Garn. Wir sollten für die Soldaten stricken. Ich bekam schwarzes Garn für ein Paar Strümpfe. Einige Kinder strickten Puls- und Kniewärmer. Andere strickten Kopfstützen und Handschuhe. Oft werden Mädchen ins Geschäft geschickt. Sie sollten dort Garn holen. Auf der Winterschule kommen Frauen und Jungfrauen zusammen. Sie nähen Hemden und Beinkleider für die Krieger. Auch viele Strümpfe werden gestrickt. Mutter ist auch einige Male dort hingegangen. Einige Kisten voller Liebessachen sind schon zur Bahn befördert worden. Viele Sachen sind schon wieder fertig.

Der erste Verwundete

Gestern kam der erste Verwundete. Es war Antoni von Mellen. Er hatte in der Schlacht bei Lüttich einen Schuss durchs rechte Bein bekommen. Gegen 5 Uhr sah ich ihn. Er stand vor Dransfeld Hause. Die Leute hielten ihnen überall auf. Er musste erst erzählen, wie es mit dem Krieg stände und wo er die Verwundung erhalten hätte. Er erzählte ihnen alles.

30. September 1914

Die ersten Gefallenen

Auch Balve ist von den Schrecken des Krieges nicht frei geblieben. Es sind jetzt schon zwei Krieger den Heldentod fürs Vaterland gestorben. Die Nachrichten trafen kurz nacheinander ein. Die Gefallenen sind Josef Schlüter und Josef Egels.

Josef Schlüter ist am 30. August gefallen. Josef Egels ist am 25. September gefallen. Er war nur 25 Jahre alt. Nach einigen Tagen wurden Totenzettel ausgeteilt.

Herr gib Frieden diesen Seelen, nimm sie auf zum ew´gen Licht.
Gib Erbarmen ihnen, zähle, Vater ihre Mängel nicht.

Heldentaten des deutschen Unterseebootes U9

Großer Jubel herrschte in Deutschland als die ersten Taten unserer Flotte bekannt wurden. Kapitän Weddigen und seine U9 wurden überall genannt. Am 22. September war ihr größter Tag. Sie hat drei englische Kreuzer zum Sinken gebracht. Diese hatten einen großen Wert.

5. Oktober 1914

Weitere Siege in West und Ost

In West und Ost haben wir bis jetzt noch immer gesiegt. Am 29. September ist Tannenberg gefallen. Dieses war eine harte Schlacht. Im Westen wurde Reims am 30. September beschossen. Hoffentlich werden wir noch weiter siegen.

12. Oktober 1914

Hurra! Welch schöner Sieg!

Hurra! Antwerpen ist gefallen! Welch eine Freude ist in Deutschland. In Balve ist ein wirres Durcheinander. Viele Leute laufen auf die Posttreppe. Dort ist die erfreuliche Nachricht angeschlagen. Hell tönen die Glocken vom hohen Kirchturm. Die Fahnen sind ausgehängt. Wie mancher denkt vielleicht: Auf unser tapferes Heer können wir uns verlassen. Hoch lebe unser mächtiges Vaterland!

20. Oktober 1914

Erster Sieg der Emden

Heute traf eine große Freudenbotschaft ein. Ein deutscher Kreuzer, die Emden, hat fünf englische Kreuzer zum Sinken gebracht. Jeden Tag kommen neue Nachrichten von ihr an. Ihr Gebiet ist der indische Ozean. Aber nicht nur englische, sondern auch japanische, französische und russische Schiffe brachte sie zum Sinken.

Habt ihr von der »Emden« gehört? Die hat dem Feind die Ruhe gestört,
die hat Alt-England nichts geschenkt, hat flott gekapert und versenkt,
der kleine Kreuzer Emden!

Ihr kennt wohl manchen, der Müller heißt? Mancher Müller ist auch zur See gereist.
Doch keinem Müller solch´ Lob gebührt, wie dem der über die See geführt
den kleinen Kreuzer Emden!

Die Emden nach mancher Fahrt und Schlacht, ward wohl erdrückt von der Übermacht.
Doch wo ein deutscher Wanderer zieht, da lebt ein Sang, da rauscht ein Lied:
Der kleine Kreuzer Emden!

Balve den 2. November 1914

Allerseelen

Allerseelen! Welch ein wehmütiger Gedanke! Wie viele Krieger sind schon gefallen. Wie manches schlichte Holzkreuz steht auf dem Schlachtfeld! Vor Weihnachten ging eine Riesenkiste mit Kerzen ab. Auf Anregung des Herrn Pastors wurden sie in die Sakristei gebracht. Sonst stellten sie die Leute auf die Gräber.

19. November 1914

Eine Trauernachricht

Heute brachte die Zeitung eine Trauernachricht. Die Emden soll erwischt und dann mit schweren Geschützen beschossen sein. Als der Kapitän merkte, dass er das brave Schiff nicht retten könnte, dachte er: »Die Feinde sollen es auch nicht haben«. Mit voller Fahrt fuhr er auf ein Riff. Dort verbrannte es. Viele Menschen kamen um in den Fluten. Einige, darunter auch der Kapitän Müller, wurden in englische Gefangenschaft geführt.

  1. Dezember 1914

Jetzt werden die Weihnachtspakete für unsere Tapferen gemacht. Alles was die Soldaten gebrauchen können, wird in die Pakete getan. Wir haben auch ein Paket gemacht. Darin taten wir ein Paar Strümpfe, einen Lungenwärmer und andere brauchbare Sachen. In das Paket legten wir auch einen Tannenzweig mit einem gelben Bändchen. Auch ein weißes Zettelchen, worauf stand »Fröhliche Weihnachten!« wurde in das Paket gelegt. Ich brachte das Paket in die Schule. Dort lagen schon viele andere Pakete. Wenn die Soldaten die Pakete erhalten, wird gewiss mancher denken: »Könnte ich doch das Weihnachtsfest mit unseren Lieben in der Heimat feiern!«

Weihnachten im Felde

Mutter schreibt:

Viele Meilen trennen, lieber Sohn, dich heute von mir,
doch die weißen Kerzen brennen in der Christnacht dort wie hier.

Und du siehst im Feindeslanden in des Himmels Diadem
auf den Stern der einst gestanden leuchtend über Bethlehem.

Und auch ich aus unserem Stübchen, schau, wenn er am Himmel steigt,
wo ich einst ihn dir als Bübchen aus dem Fenster hab gezeigt.

Dort wird dir mein Blick begegnen. Schau nur recht in seine Pracht.
Denn die Mutter will dich segnen, lieber Sohn, in heil ger Nacht.

Weihnachten 1914

Heute ist das erste Weihnachtsfest im Kriege. Hoffentlich wird es das letzte sein! Weihnachten! Heute vor vielen 100 Jahren kam der Friedensfürst auf die Erde. Und in diesem Jahre welch ein trauriger Gedanke. Was mögen wohl unsere Soldaten im Felde machen. Wie mancher Krieger liegt wohl stöhnend auf dem Schlachtfeld. Mancher muss im Schützengraben gegen den Feind kämpfen. Wie mancher ist auf einsamer Wacht. Wie mancher verbringt das schöne Fest vielleicht mit seinen Kameraden in einem zerschossenen Hause, wo sie sich einen kleinen Christbaum gemacht haben.

 

1915

26. Januar 1915

Reichswollwoche

Die Reichswollwoche war zwischen dem 15. und 24 Januar. Alte Kleidungsstücke wurden für Ostpreußen gesammelt. Es kam sehr viel Zeug zusammen. Balve war sehr eifrig. Von den Dörfern kamen Pferdewagen voll alter Wollsachen angefahren. Im Kissing´schen Saale […später Kohne] wurde das Zeug zusammengetan. In unserem Saale wurde es sortiert und verändert. Täglich kamen junge Mädchen, um zu nähen. Ich sah sehr oft zu. Zuweilen half ich auch Knöpfe abtrennen.

Aufkleber: Kreis Arnsberg: Brot und Mehlversorgung.
14.-20. März 1915.
Ausweis für 120 g Brot und 100 g Mehl.

20. Februar 1915

Brotmarken

Jetzt gibt es Brotmarken. Jede Familie, die nicht Selbstversorger ist, bekommt für jede Person sieben Scheine. Mit diesen muss die Person die ganze Woche auskommen. Auf jeden Schein bekommt man ein halbes Pfund Brot. Kinder unter sechs Jahren bekommen ein viertel Pfund Brot täglich. Zu einem Brote muss man zwölf Scheine haben. Die Leute haben sich schon sehr viel Brot zusammen geholt. Die Bäcker haben fast keins mehr zu verkaufen. Wir sind Selbstversorger. Deshalb haben wir eine Mahlkarte bekommen. Darauf bekommt jede Person täglich ein 3/4 Pfund Brot zu essen. Die Brotmarken haben jede Woche eine andere Farbe.

Deckenausstellung in unserer Schule

In den letzten Tagen mussten wir Läppchen stricken. Wir bekamen Garn von allen Farben. Jeden Nachmittag kamen El. Gerken, El. Lohmann, El. Nolte, El. Steinberg, M. Winck und ich zusammen. Dann strickten wir solche Läppchen. Als sehr viele zusammen waren, wurden sie zu Decken zusammen genäht. Es gaben vier gestrickte Decken. Auch viele genähte Decken kamen zusammen. Im ganzen waren es über 400. An einem Sonntage war Deckenausstellung in der Mädchenschule. Viele Leute besahen die Decken. Auch alte Strumpfenden mussten wir stricken. Dadurch kamen viele Paar Strümpfe zusammen. Diese wurden später ins Feld geschickt. Auch viele Kopfmützen, Leibbinden, Pulswärmer und Handschuhe mussten wir Mädchen stricken.

Der deutschen Mägdlein Waffen

  1. Wir deutschen Mägdlein, wir haben gehört, was unser tapferes Kriegsheer begehrt,
    die Spardosen leerten wir fröhlich nun aus. Und kamen mit blitzblanken Nadeln nach Haus.
    Ei, wie geschickt wird nun gestrickt, die Nadel sticht, das Fädchen fliegt,
    die Maschen stehen in Reih und Glied.
  2. Mit blitzenden Augen, mit fleißiger Hand, so kämpfen wir mit Mägdlein fürs Vaterland.
    Wie‘s blinkt und blitzt! Wie‘s fliegt und flitzt! Stichaus, stichein, nur immer zu,
    flink wie der Wind, ohne Rast und Ruh! Das Mägdlein strickt einen Schal aus Patent,
    das andere Gebilde sich Ohrwärmer nennt.
  3. Manch fleißiges Kind, mit und ohne Hilf, strikt ganz ohne Fehler die prächtigsten Strümpf.
    Für Kriegers Fuß – der schreiten muss, bergauf, bergab im weiten Feld.
    Gegen Wind und Sturm, durch Frost und Kält.
  4. Auch Kappen und Hauben, sogar mit Visier erblickt man bei diesen Kindern hier.
    Auch Staupen(?) sind da, so wollig und warm. Sie sollen umhüllen des Kriegers Arm.
    Ein jedes Kind, es denkt und sinnt, wie´s nur im Krieg für jeden Mann,
    die beste Deckung schaffen kann.
  5. So sei denn, lieb Vaterland, sorgenlos nun, wir Mägdlein, wir lassen die Waffen nicht ruh´n.
    Mit schützendem Schild hat ein jeglicher Held zu streiten im Feld,
    durch dick und dünn in warmer Brünn!(?)
    Durch Frost und Schnee, im rauen Krieg, durch Wind und Sturm zum schönsten Sieg.

Der hohe Ostertag

Heute ist Ostern, der große Freudentag der Christenheit. Heute ist der Heiland glorreich aus dem Grabe auferstanden. Wie gern hätten wir heute Frieden. Wir wollen den Auferstandenen inständig bitten, dass er uns den Frieden geben möge. Bei uns gab es heute keinen Kuchen wie in den früheren Jahren. Wir sollten auch etwas vom Kriege merken. Stattdessen gab es Eier. Jeder bekam ein Ei. Der Osterhase brachte auch nur für jeden ein Ei.

12. April 1915

Gefangene

Schon vor Wochen hörten wir von den Gefangenen sprechen. Samstagmittag kamen die ersten Gefangenen. Es waren Franzosen. Was war das ein Verwundern, als sie mit den roten Hosen im Marschschritt die Straße heraufkamen. Zwei Wachtmänner begleiteten sie. Die Franzosen waren ganz bepackt. Die Straßen standen voll von Leuten. Was war das aber auch ein Ereignis. Wann sind wohl jemals Gefangene in unserem Städtchen gewesen? Gewiss noch nie. Deshalb war das auch ein besonderes Ereignis für unser Städtchen. Die Gefangenen kamen in die Baracke in Kremerskotten Hof. Wir mussten sie beköstigen. Fünf Franzosen holten das Mittagessen. Erst waren sie ein bisschen blöde. Als aber Tante Maria mit ihnen französisch sprach, wurden sie froh. Der Wachtmann, welcher sie begleitete, erzählte, dass er auch ein Sauerländer sei. Wir mussten auch einige Betten liefern.

Balve, den 8. März 1915

Die Winterschlacht an den Masurischen Seen

Vom 7. bis 12. Februar war die Schlacht an den Masurischen Seen. Der tapfere Generalfeldmarschall von Hindenburg trieb die Russen in die Seen. Viele Russen kamen darin um.

Balve den 4. Juni 1915

Italiens Kriegserklärung

Wer dachte wohl zu Anfang des Krieges, dass Italien uns den Krieg erklären würde? Wir hätten es doch nicht erwartet, dass es sich auf die Seite der Feinde stellen würde. Im Jahre 1889(?) hatte es mit Deutschland und Österreich ein Bündnis geschlossen. Anfangs des Krieges blieb Italien neutral. Später aber wollte es nur neutral bleiben, wenn Österreich ihm Landesteile abtrat. Österreich war bereit, einige Landesteile abzutreten. Jetzt rüstete Italien im Geheimen sein Heer. Am 29. Mai erklärte es den Krieg. Deutschland musste Österreich helfen, deshalb erklärte es an Italien den Krieg. Mögen Deutschland und Österreich siegen.

Balve den 19. August 1915

Wie wir für die Soldaten Himbeeren sammelten

Dieses Jahr wachsen in den Balver Wäldern viele Himbeeren. Wir dürfen sie nicht verkommen lassen. Ich bin mit El. Gerken und El Lohmann gegangen, um Himbeeren zu suchen. Wir haben unsere Geschirre immer voll bekommen. Zweimal sind wir in der Glärbach gewesen. Die Beeren brachten wir zur Schule. Einige Kinder brachten die Himbeeren zu den Leuten, welche sich gemeldet hatten, Himbeersaft für die Soldaten daraus zu machen. Die Himbeerflaschen wurden mit Siegellack zugemacht. Dann wurden sie auf den Kirchensaal gebracht. In den nächsten Tagen werden sie in die Lazarette geschickt.

Wie wir für die Lazarette Äpfel schälten

In diesem Jahr ist eine reiche Obsternte. Deshalb haben einige Kinder in Balve, Langenholthausen, Mellen, Garbeck, Küntrop, Beckum und Wocklum Äpfel gesammelt. Diese mussten wir Schulkinder schälen. Zweimal haben wir des Morgens und einmal des Nachmittags Äpfel geschält. Wir mussten saubere Schürzen, Hände und Fingernägel haben. Jedes Kind brachte sich einen Napf und ein Messer mit. Wir holten uns zwei Bänke aus der Schule und stellten sie unter die Linde. Die Äpfel wurden geschält und in Schnitzel geschnitten. Bei Bathen und Berken wurden die Schnitzel getrocknet. Zu jedem Bäcker brachten wir einen großen Waschkorb voll. Die Äpfelschalen brachten wir zu den Leuten. Diese machten Gelee daraus. Einige Kinder sammelten auch Eier, Holzspäne, und Heu. Darin werden die Sachen für die Lazarette verpackt.

Balve den 15. Oktober 1915

Die Himbeerflaschen werden verschickt

Jetzt werden die Himbeerflaschen in die Lazarette verschickt. In großen, gut bepackten Kisten werden sie zur Bahn gebracht. Mit welcher Freude wird man sie in den Lazaretten empfangen! Wie mancher Soldat wird von dem kühlenden Trunke erfrischt und gestärkt werden! Es sind im ganzen 1500 Himbeerflaschen gepackt worden.

Balve den 26. Dezember 1915

Weihnachten 1915 im Weltkriege

Wiederum ist das hochheilige Weihnachtsfest herangenaht. Immer noch nicht ist der liebe Frieden da. Als das Jesuskindchen geboren war, sangen die Engel auf Bethlehems Fluren: »Ehre sei Gott in der Höhe und Frieden den Menschen auf Erden, die eines guten Willens sind«. Trotz des blutigen Krieges soll uns dieser Tag doch ein Tag des Friedens sein, weil an diesem Tage der Erlöser geboren ist. In diesem Jahre hat uns das Christkind nicht so reich bedacht als im Frieden. Aber auch die Soldaten hat das Christkindchen nicht vergessen. Aus der Heimat hat man ihnen viele Pakete ins Feld geschickt. Auch von Balve sind 200 Pakete für die Balver Soldaten abgeschickt. Jede Familie brachte ein Paket. Wir haben eins für Oheim und eins für andere Soldaten gemacht. Darin taten wir Strümpfe, Unterhosen, Pulswärme und andere gute Sachen. Auch an unseren früheren Knecht schickten wir ein Paket. In jedes Paket legten wir einen Tannenzweiglein mit einem darum gebundenen Bändchen. Auch ein Zettelchen, worauf stand: »Fröhliche Weihnachten!«,  legten wir hinein. Hoffentlich werden wir Weihnachten 1916 in schöner Friedenszeit feiern können!

  1. Einsam im Argonnenwalde steht ein Posten auf der Wacht. Unterm Arm den Karabiner späht er in die dunkle Nacht.
  2. In den Schützengräben schlummern Freund und Feind in süßer Ruh. Weiße Flocken fallen nieder, und er zieht den Mantel zu.
  3. Horch, was raschelt dort im Busche? Ist´s ein Feind der schleichen will? »Wer da!« ruft er,- keine Antwort, und er denkt an Weib und Kind.
  4. Sieht sie in dem trauten Stübchen um den Weihnachtsbaum vereint. Wie die Mädchen und Jungen singen und die Mutter leise weint.
  5. Auf dem Arm hält sie den Kleinsten und erhascht den Lichterschein. Und die Mutter flüstert leise »wo mag jetzt der Vater sein?«
  6. Plötzlich aus des Waldes Dunkel trifft ihn eine Kugel gut. Und die weißen Flocken trinken all sein junges Herzensblut.

Balve den 29. Dezember 1916

Als Oheim in Urlaub war

Im November kam zu unserer Freude Oheim unerwartet auf Urlaub. Abends gegen 6 Uhr kam eine Depesche. Darauf wurde uns die freudige Nachricht mitgeteilt. Stüeken Maria und ich liefen sofort zur Tante. Sie freute sich auch sehr darüber. Vater telefonierte an Tante Maria. Vater, Tante, Stüeken Maria und ich gingen abends zur Bahn. Bei Glasmachers begegnete uns Tante Maria, welche Oheim auch abholen wollte. Endlich kam der Zug. Oheim freute sich, die Heimat wieder zu sehen. Wir gingen nach Hause. Unterwegs erzählte Oheim vom Krieg. Als wir bei Wiecks waren, kam Mutter uns entgegen. Wir aßen zusammen. Auch dabei erzählte Oheim vom Krieg. Oheim ist 3-4 Wochen in Balve geblieben. In den Tagen vom 20. bis 25. November hat er mich in die Klavierstunde nach Fräulein Soreth gebracht. Vor kurzem fuhr er wieder nach Russland.

Er ist Assistenzarzt im Regiment 110. Sein Freund Scheffler ist bei ihm. Als Oheim kam, hatte er das Eiserne Kreuz. Das war eine besondere Freude. Bevor er kam, hatte er mir zwei Karten geschrieben. Auf diesen waren die Städte Kowno und Grodno.

 

1916

Balve den 2. Januar 1916

Aus dem vorigen Jahre habe ich noch vergessen zu schreiben, dass Großmutter, Mutters Mutter, gestorben ist. Am 14. Februar 1915 verschied sie im Alter von 66 Jahren. Sie war immer geduldig und gottergeben, trotz ihres langen und schweren Leidens. Vor ihrem Tode hat sie oft die heiligen Sakramente empfangen. Am 21. Februar, einem Sonntage, wurde sie beerdigt. Bevor der Sarg geschlossen wurde, gaben wir ihr alle noch einmal die Hand. Möge der Herr ihr die Krone des Lebens geben. Herr, gib der armen Seele die ewige Ruhe und das ewige Licht leuchte ihr!

Balve den 2.1.1916

Eine Trauerzeit

Das Jahr 1915 ging für uns sehr traurig zu Ende. Am 26.12. erhielten wir die Nachricht, dass Onkel Ernst krank sei. Er habe Blutvergiftung und etwas Lungenentzündung, telefonierte man von Allendorf. Vater, Tante und Tante El. fuhren sofort nach Allendorf. Am Abend kamen Vater und Tante El. wieder. Tante war bei Onkel Ernst geblieben. Vater und Tante El. erzählten, dass Onkel Ernst schon gebeichtet habe und morgen früh kommunizieren wolle. Auch Tante Maria fuhr mit. Am Abend kam Vater allein wieder. Er erzählte, dass es Onkel Ernst nicht gut ginge. Am 29 Dezember gegen Mittag telefonierten die Tanten, Vater müsse kommen, Onkel Ernst sei am Sterben. Aber kurz darauf kam ein Telefon, es sei mit ihm besser geworden, Vater solle Dr. Kuhn mitbringen. Er musste aber auf den Dr. warten, und deshalb kam er erst in Allendorf an, als Onkel Ernst schon gestorben war. Gestern ist er beerdigt. Man hat ihn mit Engelchen bis hinter Allendorf gebracht. Hier wurde er bis zur Beerdigung aufgebahrt. Wir alle haben ihn noch einmal gesehen. Der ganze Ort hat sich an der Beerdigung beteiligt. Auch ganz Allendorf hat sich beteiligt. Man erzählte nachher, so viele Leute seien noch nicht auf dem Kirchhof gewesen.

Balve den 24.9.1916

Die vierte Kriegsanleihe

Heute hörten wir in der Schule, dass wir Schulkinder Kriegsanleihe zeichnen sollten. Das Vaterland muss Geld haben, sagte man uns. Fast alle Kinder sind bereit, zu zeichnen. Ich will morgen 50 Mark zeichnen. Dann bekomme ich eine Quittung. Diese muss ich verwahren bis nach zehn Jahren. Dann bekomme ich das Geld mit Zinsen wieder.

Balve, den 8. Mai 1916

Neue Siege in Ost und West

Die tapferen deutschen Helden haben schon viele Siege erfochten. Gestern fiel die russische Festung Lindau. Auch sind schon einige Tage vorher Warschau, Kowno, Grodno und Wilna erobert.

Im Westen haben die Franzosen einen Durchbruch in der Champagne versucht. Es ist ihnen aber nicht gelungen. Im April und Anfangs Mai haben sie wieder einen Durchbruchversuch gemacht. Aber unsere Tapfern sind Sieger geblieben.

Balve, den 15. Mai 1916

Hurra! Zeppelin!

Vor einigen Tagen kam der erste Zeppelin über Balve. Das war eine Freude. Ich war gerade bei Tante. Da hörten wir viele (Kehlen) Stimmen rufen: »Zeppelin! Zeppelin!« Ganz verwundert sahen wir zum Fenster hinaus. Er war sehr deutlich zu sehen und flog über die alte Linde. Ich lief schnell nach Hause, damit die Eltern und Geschwister ihn auch noch sehen sollten. Das ist ihnen aber nicht mehr geglückt.

Balve, den 2. Juni 1916

Am letzten Tag im Mai war ein großer Seesieg. Die deutschen Schiffe haben die englischen Schiffe „Unbesiegbar“, „Unbeherrschbar“, „Unangreifbar“, „Uneinnehmbar“, „Unbezwingbar“, „Königin der Meere“ und „Kriegstrotzer“ versenkt. Nie hätten die Engländer geglaubt, dass diese Schiffe versenkt würden. Nun liegen sie auf dem Meeresgrund. Diese Schlacht am Skagerak wird bis in die Jahrtausende berühmt sein. In Balve läuteten alle Glocken über den schönen Sieg. Wir bekamen um 9 Uhr siegfrei. Bevor wir aus der Schule gingen, sangen wir zwei schöne Vaterlandslieder. Wir Schulmädchen hatten an diesem Tage eine Messe zu Ehren der Himmelskönigin lesen lassen. Gewiss hat dieses auch dazu beigetragen, dass der Sieg erfochten wurde.

  1. Die Jahre gingen, ein Kaiser kam. Der erfüllte den deutschen Traum. Er schuf eine deutsche Flotte. Und schuf auf den Meeren ihr Raum.
    Eine neue größere „Frauenlob“ furchte den Wellenschaum.
  2. Da sprach der Brite: Ich schließe die See. Und breche Deutschlands Macht.
    Aus Höllenschlunden am Skagerak brüllte die Wasserschlacht.
    Britische Panzer und britischen Ruhm verschlang eine Maiennacht.
  3. Doch teuer der Preis, manch deutsches Schiff sah nimmer der Junitag.
    Manch tapferes deutsches Seemannsherz tat dort den letzten Schlag.
    Bis über Besiegten und Siegern das flutende Bahrtuch lag.
  4. Im Sinken sandte die »Frauenlob« noch zündenden Wetterstreich.
    Als in den Geschützen das Wasser quoll. Ein Hurra für Kaiser und Reich!
    Und ein stummer Gruß an die Lieben, dann wurden die Fluten gleich.
  5. Schlaft wohl, ihr Helden, die heilig und schlicht sanken im Pflichtgebot.
    Euch tun die bitt´ren Tränen nicht in alle der Salzflut not.
    Soweit die Welle am Strand sich bricht, erzählt sie von eurem Tod.
  6. Kein Ruhm so hoch, kein Dank so heiß, der eure Treu vergilt.
    Wem soll die Liebesernte sein, von der die Brust uns schwillt?
    So seien´s die Witwen und Waisen, auf die der Segen quillt.

Balve den 12. August

Kriegskinder

Am 8. August mittags kamen die Stadtkinder. Sie sollen sich hier erholen. Im Ganzen kamen 21 Kinder. Mehrere Herren brachten sie. Wir nahmen auch zwei Kinder. Ich holte sie von der Bahn ab. Sie heißen El. Löbbert und Joseph Westermann. Die Kinder kamen aus Wattenscheid. Vor der Abfahrt haben sie sich erst gewogen. Das Mädchen wog 50 und der Knabe 64 Pfund. Sie helfen schon ein bisschen an der Ernte. In sechs Wochen fahren sie nach Hause. Hoffentlich werden sie sich gut erholen.

Balve den 22. August 1916

Heute Morgen kam der Herr Pastor in die Schule. Er sagte uns, dass U. Deutschland mit großem Erfolge in die Heimat zurückgekehrt sei. Trotzdem die Engländer so gut aufgepasst hatten, war es ihnen doch entwischt. Große Freude herrschte heute in Deutschland. U. Deutschland ist in Amerika gewesen und hat für 2.000.000 Mark Gold, 500 Tonnen Nickel und Kautschuk mitgebracht. Jetzt ist schon ein zweites Boot unterwegs. Wir erwarten, dass es auch glücklich durchkommt. Hoffentlich wird dieses der Fall sein.

Balve den 28. August 1916

Rumäniens Kriegserklärung.

Gestern Morgen kam die Nachricht, dass Rumänien uns den Krieg erklärt habe. Deshalb müssen viele die Heimat verlassen. Rumänien hat aber nur 1.000.000 Mann. Deshalb ist es nicht so schlimm. Hoffentlich werden wir unsere Feinde bald besiegen!

Balve den 20. September 1916

Butterkarten

Jetzt wird die Butter auch schon sehr knapp. Deshalb haben wir jetzt Butterkarten. Wer hätte wohl gedacht, dass es noch mal Buttermangel geben würde. Früher gehörte die Butter zu den täglichen Speisen, das hört jetzt auf. Jede Person bekommt in der Woche 60 g Butter. In der ersten Zeit bekam man nur 20 g in einer Woche. Ich musste die Butter zuweilen für Tante holen. In der Molkerei musste ich fast 2 Stunden warten, so war sie mit Leuten überfüllt. Die Kinder wurden immer zurückgestoßen. Mich stieß man auch zurück, sodass ich auf die Erde fiel. Andere Kinder wurden die Treppe heruntergestoßen. Als die Butterkarten ausgeteilt wurden, wurde die betreffende Familie bei Namen gerufen. Dann bekam sie für jede Person einen Schein mit einer Nummer versehen. Diese muss sie immer vorzeigen. Freitags und samstags wird Butter ausgeteilt.

Balve den 3. Oktober 1916

Zeppelin in den Ferien

Gestern Mittag hörte ich ein lautes Brausen. Ich lief schnell aus der Stube, um zu sehen, was das sein möchte. Im Flur hörte ich schon rufen, Zeppelin! Zeppelin! Ich lief auf die Treppe. Richtig, da war er! Er war sehr tief, und in der klaren Luft konnte ich ihn gut sehen. Auch er flog nach Westen. Lange sah ich ihm nach. Zuletzt sah ich nur noch ein kleines Pünktchen. Plötzlich war er verschwunden.

  1. Wir haben einen, den haben sie nicht. Und werden Ihnen nimmer bekommen.
    Der zieht unterm blauen Himmelslicht, einher mit brausendem Strafgericht –
    und schauen Sie ihn, dann erbleicht ihr Gesicht,
    und die Herzen schlagen beklommen.
  2. Der schon anno 70 als Reiter kühn die Tat eines Helden geschaffen –
    er hat nach langen, heißen Bemühn, die Lüfte, die in der Sonne glühn,
    aus denen die rächenden Blitze sprühn,
    erobert den deutschen Waffen.
  3. Heil, Zeppelins Sturmvogel! kommt und braust, und breitet die mächtigen Schwingen!
    Wo immer Feindschaft und Tücke haust, da zeigt euch, dass es den Schelmen graust,
    da helfet des deutschen Kriegers Faust
    den Sieg, den Frieden erringen!

Balve, den 20. Oktober 1916

Ein Sonntagnachmittag.

Weil es fast immer geregnet hatte, und kein Heuwetter war, fiel Sonntagnachmittag die Andacht aus. Alle Leute sollten sorgen, dass das Heu gut einkam. Diejenigen, die selber kein Heu hätten, sollten anderen Leuten helfen. Elisabeth Gerken und Gerken Tante Anna gingen auch mit. Auch drei Franzosen halfen. Wir holten zwei schwere Wagen Heu nach Haus und arbeiteten mit fünf Pferden. Es war Sonntag aber sehr kalt. Deshalb zogen wir Mäntel und Handschuhe an.

Balve den 20. Oktober 1916

Verlängerung der Ferien

Am Sonntag wurde bekannt gemacht, dass die Ferien bis zum 1. November verlängert werden sollten. Dieselben wurden verlängert, weil die Kartoffeln und Runkeln noch nicht ein sind. Wir freuten uns sehr darüber.

Balve 12. November 1916

Polens Erhebung zum Königreiche

In diesen Tagen ist Polen wieder ein selbstständiges Königreich geworden. Das hat es dem deutschen Kaiser zu verdanken. Als wir die Russen besiegt hatten, mussten sie Polen abtreten. Es ist noch nicht bestimmt, wer sein König werden soll. Auch weiß man noch nicht, ob es zu Österreich oder zu Deutschland kommt. Solche Meinungsverschiedenheiten gehen hin und her.

Balve den 22. November 1916

Tod des Kaisers Franz Joseph von Österreich

Der Kaiser Franz Josef ist gestorben. Welch ein Trauertag für Österreich und Deutschland. 68 Jahre lang hat er treu in Österreich regiert. Viel Leid ist ihm in seinem Leben widerfahren. Gegen Ende seines Lebens kam noch der Krieg, in welchem man seinen Sohn ermordet hat. Es war ihm nicht vergönnt, das Ende des Krieges zu erleben. In seinem Leben hat er viel für sein Land getan. Er war ein katholischer Fürst. Im Alter von 86 Jahren starb er. Möge der Herr ihm den Lohn für seine Liebe und Treue geben.

Balve den 6. Dezember 1916

Hurra! Bukarest ist gefallen

Heute kam die Nachricht, dass Bukarest, die Hauptstadt von Rumänien, gefallen ist. Das ist eine große Freude für Deutschland und Österreich. Rumänien ist ein sehr fruchtbares Land. Das ist sehr gut für Deutschland.

Meine Reise nach Siegen

Aus dem Oktober habe ich nachzutragen, dass ich am 1. Oktober nach Siegen gefahren bin. Onkel Emil holte mich. In Siegen war es sehr schön. Ich habe dort viel Schönes gesehen, z. Bsp. die neue Burg! Die alte Burg und alte Ritterdenkmäler. Am letzten Tage, als ich in Siegen war, ging es mit Tante Maria zum Zuge. Viele Leute standen dort. Ein Sanitätszug wurde erwartet. Wir gingen aber nicht hin, um die Verwundeten zu sehen, sondern Mutter, die am Tage vorher gekommen war, und ich wollten nach Hause fahren. Ich sah die Verwundeten aus dem Zuge. Langsam kam der Sanitätszug angefahren.

Der Sanitätszug

  1. Auf Bahnhofswache – Abends um neun, von Westen fährt langsam ein Zug herein.
    Das Stahlross, das sonst rasch und weit uns trug, heut fährt es ja langsam den Krankenzug.
  2. Beim Hinfahren schallte noch froher Gesang. Jetzt alles still und der Zug ist so lang.
    Sechshundert Verwundete liegen darin. Die sollen alle zur Heimat hin.
  3. Nun stehen wohl vierzig Wagen vor mir, doch man öffnet nur eine einzige Tür.
    Ein junger Krieger kommt nicht mehr nach Haus. Sanft laden zwei Krankenträger ihn aus.
  4. Kein Arm und sein halbes Gesicht ist umhüllt, seine Lippen flüstern schmerzerfüllt:
    Grüßt mir mein Mütterchen, mein Kind und mein Weib.
    Da streckte der Tod den müden Leib.
  5. Der Arzt spricht milde: Mit dem ist‘s vorbei. Der Vorsteher winkt, die Abfahrt ist frei.
    Schwer gleitet der Zug in die Nacht hinaus, wie ein Leichenzug, kein Mensch schaut heraus.
  6. Kein Singen kein Gruß, eine Schwester trug, durch die stillen Wagen den Wasserkrug.
    Sechshundert, vielleicht schon am nächsten Ort, tragen sie wieder einen Toten fort.
  7. Langsam verschwindet der Zug in die Ferne. Kleiner stets wird die rote Laterne. Gedankenvoll schaut der Postel(?) ihr nach. Der Regen fällt graffelnd aufs Bahnhofsdach.

Der Bahnhof liegt still, doch man meldet schon, einen neuen Zug hinter dem anderen her. Ach wenn es doch bald erst der letzte wär.

Balve den 15.12.1916

Friedensangebot des Kaisers

Unser Kaiser machte am 12. Dezember ein Friedensangebot. Große Freude herrschte in Deutschland. Wir dachten doch sicher, dass unsere Feinde darauf eingehen würden. Aber heute kam die Nachricht, dass sie sich nicht darauf einließen. Da war wieder alle Freude verdorben. Wir hoffen aber, dass der Krieg doch bald ein Ende nimmt.

O ewiger Gott, wir bitten dich, gib Frieden unseren Tagen;
gib, dass wir all demütiglich nach deinem Willen fragen.
Denn, Herr, es ist kein anderer Gott, der für uns streitet in der Not,
als du, oh Gott, alleine.

Der du die Herzen der Könige lenkest wie Wasserbäche, gib den Mächtigen der Erde Gesinnungen des Friedens und lass sie ihre Gewalt nur brauchen zum Heile ihrer Völker!

Balve den 26. Dezember 1916

Weihnachten 1916!

Abermals ist Weihnachten! Noch immer wütet der schreckliche Krieg. Wie denken jetzt wohl die Krieger an die Heimat. Wie manches Christbäumchen steht wohl in einem zerschossenen Häuschen! Wie mancher Krieger denkt wohl, ob ich wohl noch ein Weihnachtsfest im Felde feiere. Hoffentlich ist doch nächstes Jahr Frieden!

Weihnacht im Feindesland

  1. Heil´ge Nacht im Feindesland breitet ihre Flügel
    über Wald und Wiesenland über Tal und Hügel.
  2. Tausend Sterne hold und sacht von der Höhe schauen.
    Engel schweben durch die Nacht auf den weißen Auen.
  3. Ist das Friedenskindlein licht auf die Welt gestiegen?
    Sangen frohe Englein nicht ihm an seiner Wiegen?
  4. Fern schallt durch die stille Nacht dumpfes Donnerrollen,
    gleich als wär‘s der Hölle Macht, drohend finsteres Grollen.
  5. Eine Scheun´ am Dorfessaum – durch das Dunkel schimmert,
    und ein heller Weihnachtsbaum froh darinnen flimmert.
  6. Arm und kahl die Wände sind wie im heil´gen Stalle.
    Doch hier ward dem Christuskind eine Friedenshalle.
  7. Unterm Tannenbaum es fand eine Kripp´ bereitet.
    Drin der rauen Krieger Hand freundlich es geleitet.
  8. Und nun tönt es »Stille Nacht« aus den rauen Kehlen.
    Wundersam des Liedes Macht dringt in ihre Seelen.
  9. Viele Kinder ringsum steh´n von des Feindes Sippe,
    scheu sie auf die Krieger seh´n, auf den Baum, die Krippe.
  10. Was das treue Christkind sandt aus der Heimat Ferne,
    teilt der rauen Männer Hand mit den Kleinen gerne.
  11. Schokolade, Zuckerstern, Apfel, süße Sachen,
    die Französ´chen nehmen´s gern, ihre Augen lachen.
  12. Aber mancher Kriegesmann senkt das Aug´ in Tränen,
    blicket er die Kinder an, fasst ihn heißes Sehnen.
  13. Ferne schaut er einen Kreis, Mütterlein erzählet.
    Doch sie denken alle leis: »Einer, einer fehlet!«

1917

Balve, den 2. Januar 1917

Neujahr! Neujahr!

Glückseliges neues Jahr! riefen gestern viele Stimmen. In diesem Jahre wird es doch wohl Frieden geben! In der gestrigen Nacht fehlten die kräftigen Männerstimmen, die sonst nachts um 12:00 Uhr allen ein glückseliges neues Jahr wünschten. Gestern fehlten auch die Neujahrsbrezeln. Möge uns das neue Jahr den Frieden bringen! Glückseliges neues Jahr! Glückseliges neues Jahr!

Vorüber ist das alte Jahr! Ob´s fröhlich dir, ob´s traurig war,
ob du geweint ob du gelacht, ob du geschlummert, ob gewacht,
ob du die Zeit genützet hast, ob Müßiggang sie hat verprasst –
das Jahr, das einst so lang dir schien,
vorüber rauscht es – hin ist hin:
vorüber, vorüber!

Balve den 27. Januar 1917

Heil Kaiser dir! Hört man heute oft rufen. Heute ist ja auch Kaisers Geburtstag. Wir haben jetzt im Kriege besonders Grund, diesen Tag zu feiern. 29 Jahre lang hat er schon treu sein Land regiert. Viel hat er zum Wohle seines Landes getan. Heute Morgen wurde ein Hochamt für den Kaiser gelesen. Wir sagen: »Für unseren Fürsten beten wir«. Die Schule war schön geschmückt. Wir haben die Feier schön begangen. Einige Kinder sagten ein Gedicht auf. Zum Schluss riefen wir alle »Der Kaiser lebe hoch! Hoch! Hoch! Heil Kaiser dir!«

  1. Wenn einer wert ist, dass des Ruhmes Krone, des Kriegers Lorbeer sinket auf sein Haupt,
    bist du es, Kaiser, der von allen Herrschern am längsten an den Frieden hat geglaubt.
  2. In menschenmilden und geduld´gen Händen, hat lang geruht dein kaiserliches Amt! Brennt heute auch die Welt an allen Enden, wir sind noch feuriger für dich entflammt.
  3. Nie war ein Kaiser auf den Thron gehoben, so hoch wie du und so vom Volk verehrt!
    Zieh stolz dein Schwert! Und jeder soll geloben, dass nie ein Krieger stolzer heimgekehrt.

Balve den 5. Februar 1917

Die Seifennot

In diesen Tagen kamen die Seifenkarten. Gute Seife ist jetzt sehr selten. In einem Monat gibt es nur 100 g Feinseife und ein Pfund Seifenpulver für jede Person. Die Seifenkarten werden immer für ein halbes Jahr ausgeteilt. Wenn ich sie hole, ist immer ein schreckliches Gedränge. Oft muss man 2 Stunden warten. Die Feinseife ist sehr teuer. Ein kleines Stückchen, welches nicht mehr als 50 g wiegen kann, kostet 3-4 Mark. Die Wäsche waschen viele Leute mit Holzasche. Auch Soda ist sehr selten. Man ist immer sehr bange, wenn der Waschtag kommt. Früher hatte man für 30 Pfennig eine schneeweiße Wäsche. Jetzt kostet eine ganz gelbe Wäsche drei Mark. Wenn doch erst Frühling wäre, dass man bleichen könnte.

Guter Rat in Kriegszeiten

Heize ohne Kohlen, laufe ohne Sohlen,
leuchte ohne Licht, hamstere nicht!
Backe kleine Kuchen, vermeide zu fluchen,
brate mit Luft, lab dich am Duft!
Mach keine Reise, zahl alle Preise,
verschwende kein Papier, entwöhn dich vom Bier.
Koche ohne Fett, wärm dich im Bett!
Wasch ohne Seif, nadle(?) ohne Reif!
Verlier keine Karten, gewöhn´ dich ans Warten.
Werde nie bös, sei nicht nervös!
Schickt dich in alles, gedenk des Wortes »Dalles(?)«.
Kauf jeden Schund, halt stets den Mund!

Balve den 10. Februar 1917

Zuckerkarten

Jetzt haben wir auch schon Zuckerkarten. Jede Person bekommt nur 200 g Zucker in der Woche. Sonst wurde immer gesagt, man solle nur tüchtig Zucker gebrauchen, es wäre genug da. Aber da haben die Leute zu viel verbraucht, und nun ist die Zuckernot da. Wer hätte das wohl früher gedacht? Man muss jetzt an Zucker sparen. Hoffentlich ist bald der erwünschte Friede da!

Balve den 23. Februar 1917

Kommunionunterricht

Endlich ist die schöne Zeit gekommen, wo ich mich auf den schönsten Tag meines Lebens vorbereiten kann. Gestern begann der Kommunionsunterricht. Der Herr Pastor sprach schöne Worte zu uns. Er sprach: »Liebe Kinder! Das war ein schöner Tag, wo man euch in die Kirche trug und ihr getauft wurdet. Ein zweiter schöner Tag soll bald für euch kommen. Es ist der Tag eurer ersten heiligen Kommunion. An diesem Tage sollt ihr das Glück haben, den lieben Heiland in euer Herz aufzunehmen. Oh bereitet euch doch recht schön vor auf diesen hohen Tag. Nach dem Unterricht gingen wir in die Kirche und beteten um die Gnade einer würdigen ersten heiligen Kommunion.


Balve den 30. Februar 1917

Die große Kälte

Dieses Jahr hat der Winter uns eine sehr große Kälte mitgebracht. Seit 80 Jahren soll eine solch große Kälte nicht gewesen sein. Die Kartoffeln und Äpfel in den warmen Kellern sind verfroren. Die Gläser mit eingemachten Sachen sind offen gesprungen. Will man einen Topf Fitzebohnen aus dem Keller holen, so findet man obenauf einen dicken Klumpen Eis. Kohl ist gar nicht mehr zu essen. Selbst die Tiere wollen ihn nicht mehr. Nicht selten platzt ein Rohr. Die Fensterscheiben wollen den ganzen Tag nicht auftauchen. Große, fließende Flüsse sind sogar zugefroren. Von Flüchtlingen sind einigen Eltern die Kinder erfroren. Wäre doch erst Frühling!

Drum still – und wenn es frieren mag,
als sei die Höll auf Erden.
Nur unverzagt auf Gott vertraut,
es muss doch Frühling werden!

Balve den 15. März 1917

Russische Revolution

Schon seit einiger Zeit herrschen große Unruhen in Russland. Man hat den Zaren gezwungen, die Kaiserkrone abzulegen. Dieses tat er am 11. März. In der Zeitung stand, dass der Zar fliehen wollte. Man habe ihn aber erkannt und nach Sibirien verbannt. Die russischen Truppen wollen nicht mehr kämpfen. Es wird doch wohl bald zum Frieden kommen.

Balve, den 22. März 1917

Der Kriegsaltar. Herz Jesu Altar

Heute kam der Kriegsaltar. Die Leute mussten ihr Geld dazu bringen. Wir haben auch einige Goldsachen gegeben. Der Herz Jesu Altar steht rechts vom Hochaltar.

Balve, den 10. April 1917

Wir Kommunionkinder haben uns ein Tagebuch angelegt, worin wir alles aufschreiben aus unserer Vorbereitungszeit. Jetzt dauert es nur noch fünf Tage, bis zum Ehrentage. Oh, wie freue ich mich. Ich will diese wenigen Tage noch gut benutzen und mich gut auf die erste heilige Kommunion vorbereiten, damit der liebe Heiland Freude an mir hat.

Jesu, Jesu komm zu mir! Oh wie sehn´ ich mich nach dir.
Meiner Seele bester Freund, wann werd ich mit dir vereint?
Tausendmal begehr ich dein, leben ohne dich ist Pein.
Tausendmal seufz ich zu dir: O Herr Jesu komm zu mir!

Balve, den 14. April 1917

Ein Tag vor meinem schönsten Tage

Einmal werde ich noch wach! Dann ist der schönste Tag da! Heute Morgen mussten wir einüben. Ich mit meiner Freundin Josepha Krüdewagen und knie in der zweiten Bank als zweite. In der Kirche mussten wir singen: »Fest soll mein Taufbund«, »Herr, wir sind dein!«, »Oh Herr, ich bin nicht würdig« und »Unserem Herzen soll die Stunde«. Der Herr Pastor übte mit uns, wie wir auf das Taufgelübde antworten müssen. Auch mussten wir üben, wie wir uns an der Kommunionbank verhalten müssen. Heute Mittag kam ein Brief von Oheim. Er wünschte mir Glück und schrieb, ich sollte für ihn beten. Er wäre gerne bei der Feier. Um 1/2 3 Uhr mussten wir beichten. Unsere Generalbeichte legten wir Gründonnerstag ab. Jetzt will ich mich noch gut vorbereiten, die Stunden gehen schnell herum. Ich will heute noch oft um eine würdige erste heilige Kommunion beten. Besonders dieses kleine Gebetchen:

Komm, o mein Jesus, komm zu uns und still mein heiß Verlangen!
Ich sehne mich so sehr nach dir, möcht gern dich jetzt empfangen.
O kehr in meinem Herzen ein, und lass mich ganz dein Eigen sein!

Oh Herr, ich bin nicht würdig, dass du eingehest unter mein Dach!
Aber sprich nur ein Wort, so wird meine Seele gesund sein!

Balve, den 16. April 1917

Der schönste Tag meines Lebens

Gestern war der schönste Tag meines Lebens. Wie lange hatte ich mich auf diesen schönen Tag gefreut. Nun ist er da gewesen. Gestern Morgen versammelten wir Kommunionkinder uns in der Schule. Paula Blume betete die Kommuniongebete vor. Da läuteten die Glocken. Wir wurden feierlich von der geschmückten Schule abgeholt. Der Herr Pastor gab uns den Segen. Dann gingen wir zur Kirche. Dort erneuerten wir das Taufgelübde. Danach sangen wir das schöne Lied:

»Fest soll mein Taufbund immer stehn, ich will die Kirche hören.
Sie soll mich allzeit gläubig sehen, und folgsam ihren Lehren.
Dank sei dem Herrn, der mich aus Gnad´ in seine Kirch berufen hat.
Nie will ich von ihr weichen!«.

Der Herr Pastor betet uns die Kommuniongebete vor. Vor der heiligen Kommunion sangen wir: »Oh Herr, ich bin nicht würdig, zu deinem Tisch zu gehn«. Feierlich klang das Lied, das die ganze Gemeinde sang. »Lasst die Kinder zu mir kommen,….. Nimm sie hin die jungen Herzen, die dein treues Volk dir weiht; sie sind dein, oh süße Stunde! Nimm sie hin in Ewigkeit ….. Ach, bewahre ihre Seelen, ihre Herzen fromm und rein! ……. Lass uns dort sie wieder finden, wo nur reine Tugend wohnt, wo mit sel´gen Himmelsfreuden deine Güte ewig lohnt. Lass sie nicht verloren gehen, Gott und Vater, sie sind dein! Vater, lass uns eins auf Erden, eins in deinem Himmel sein! ……«

Währenddessen wurden wir von Engelchen zur Kommunionbank geführt. Jetzt war der Augenblick gekommen, wo der liebe Heiland in unser armes Herz kam und es erfüllte, mit Freude und Seligkeit. Nach der heiligen Handlung dankten wir dem lieben Heiland für das große Glück. Unsere erste Bitte war, dass er uns vor der Todsünde bewahre und uns in dieser heiligen Unschuld bis zum Tode wandeln lasse. Dann bitteten baten wir ihn auch für unsere Eltern, Großeltern, Tanten, Onkel, für die armen Seelen, für die Irr- und Ungläubigen, und um baldigen Frieden. Dann sangen wir: »Herr, wir sind dein!«

Am Nachmittage war Dankandacht. Danach sangen wir das schöne Lied:

  1. Unserem Herzen soll die Stunde ewig unvergesslich sein!
    Mit dem Herzen mit dem Munde schwören wir Gott treu zu sein.
    Dieses Tages, dieser Pflicht, wollen wir vergessen nicht!
  2. Dank dir, Jesu! Heil uns allen! Oh wie wohl ist uns bei dir.
    Lass dir unser Herz gefallen, darum bitten flehend wir.
    Bleibt, oh Jesu, stets bei uns. Liebe, schütze, segne uns!
  3. Lass die Engel um uns stehen in dem Andrang dieser Welt,
    dass wir niemals irre gehen, allzeit tun, was dir gefällt,
    dass wir mit dem Unschuldskleid, kommen in die Ewigkeit!!!

Balve den 20. April 1917

Der unbeschränkte U-Boot Krieg

Im Völkerrechte hieß es, dass kein Schiff ohne Warnung, kein neutrales Schiff ohne ???, und kein Lazarettschiff versenkt werden dürfte. England machte sich alles dieses zunutze. Wenn es das Warnungszeichen hörte, so schoss es sofort auf das Schiff. Es segelte unter neutraler Flagge und bewaffnete die Lazarettschiffe und schoss auf die deutschen Schiffe. Um dieses fortzuschaffen, erklärte Deutschland den unbeschränkten U-Bootkrieg. Jetzt dürfen die Schiffe nur auf bestimmten Linien fahren. England ist von jeglichem Handel und Verkehr abgeschlossen. Die neutralen Schiffe dürfen wohl noch unter sich Handel treiben. Jedes Schiff darf ohne Warnung versenkt werden.

Balve, den 22. April 1917

Milchkarten

Jetzt sollen nicht mal mehr alle Milch trinken? Es gebe jetzt Milchkarten. Nur kleine Kinder und kranke Leute dürfen Milch trinken. Wir haben 15 Personen und dürfen nur 1 3/4 l. Milch trinken. Diese gehört aber nur Heinrich und El. H. darf 3/4 l und El. 1 l Milch trinken. Wir haben wohl 10-15 Milchkunden. Sie müssen alle Milchkarten haben, sonst dürfen wir Ihnen keine Milch verkaufen. Wir haben schon einen ganzen Kasten voll roter, blauer, grüner, gelber und grauer Karten. Wir müssen auch viel Milch zur Molkerei liefern. Gesunde Leute dürfen aber doch Zentrifugenmilch trinken.

Balve, den 28. April 2017

Ein neuer Feind

Jetzt haben wir schon wieder einen neuen Feind. Es ist Amerika. Anfangs April erklärte es den Krieg. Hoffentlich kann es uns nicht viel schaden, denn es ist durch das Meer von uns getrennt. Wäre doch erst der ersehnte Friede da!

Lebensmittelkarten in England

Jetzt sind in England auch Lebensmittelkarten. Amerika kann ihm jetzt keine Lebensmittel mehr schicken. Auch Truppen und Munition können ihm nicht mehr zugeführt werden. Dadurch wird der Mut des englischen Volkes immer mehr geschwächt.

Balve, den 10. Mai 1917

Kriegskinder

An einem Sonntag wurde bekannt gemacht, dass dieses Jahr wieder Kriegskinder kommen sollten. Der Herr Pastor legte den Leuten warm ans Herz, doch Kinder aufzunehmen. Heute kamen die Kriegskinder. Sie hatten noch alle Wintermäntel an. Zuerst gingen sie in die Kirche. Dann wurden sie bei der Schule abgeholt. Wir haben einen Jungen genommen. Er heißt Anton Steden. Er ist acht Jahre alt. Wir haben auch ein Mädchen. Es ist aber schon länger hier. Es ist die Schwester von unserer Magd. Es heißt Elisabeth Roos und ist neun Jahre alt. In unsere Schule kommen auch sechs Mädchen. Eins ist ganz groß. Es heißt Maria Knauf. Die Kriegskinder sind aus Bochum.

Balve, 5. Juni 1917

Die Hamsterei

Die Städter Leute kommen jetzt alle auf die Dörfer, um zu hamstern. Sie fragen, ob man etwas Brot, Speck oder einige Kartoffeln übrig hat. Dieses tun Erwachsene und Kinder. Jeden Tag kommen wohl 15-20 Hamsterer nach uns. Sie gehen auch abends auf die Felder und stehlen Frühkartoffeln. Deshalb reiten jetzt des Nachts »Feldschützen« durch die Felder. Ertappen Sie jemanden, so müssen sie alles abliefern. Abends um 9 Uhr darf niemand mehr im Felde sein.

Balve, den 8. Juli 1917

Waldbeeren

In diesem Jahr gibt es viele Waldbeeren. Das ist sehr gut, dann kann man die Waldbeeren als Brotaufstrich gebrauchen, weil es so wenig Butter gibt. In Menden, Iserlohn, Unna, Hagen und Dortmund ist auch schon bekannt, dass die Waldbeerernte gut ist. Jetzt sind deshalb die Züge immer sehr voll. Jeden Tag sieht man ganze Karawanen den Baumberg mit Decken und Eimern heraufziehen. Abends sind die Züge so voll, dass die Leute nicht alle mitkommen. Dann schlafen sie im Walde. Weil in Balve schon keine Waldbeeren mehr sind, bin ich gestern in Garbeck gewesen. Vorgestern seien hier so viele Beeren gewesen. Als wir durch Garbeck gingen, begegneten uns viele Fremde. Sie hatten ihre Eimer 3/4 voll. Die Garbecker Leute erzählten uns, heute morgen seien 1500 Fremde hier gewesen. Im Walde angekommen, dachten wir unsern Eimer zu füllen. Aber am Abend hatten wir ihn nur gut 1/4 voll. Am Bahnhof konnten wir keine Karten lösen. Es war zu voll. Jetzt kam der Zug. Er hatte sieben Wagen. Jetzt gab es aber ein Gedränge. Vielen fielen die Körbe und Eimer auf die Erde. Einige mussten im Packwagen fahren. Ich bekam zufällig noch ein Plätzchen in dritter Klasse mit. Die Karten wurden nicht nachgesehen, denn es war ja zu voll.

Balve, den 13. Juli 1917

Ein schweres Opfer für Balve –
Glockenabschied! Glockenabschied!

Balve muss jetzt ein schweres Opfer für das Vaterland bringen. Unsere Glocken müssen in den Krieg ziehen. Sonntag schallte vom Kirchturm feierlich Läuten. Abschiedsläuten! Abschiedsläuten! Alle Arten von Geläute sollten wir noch einmal hören. Festtagsläuten, Totenläuten, Kindsläuten, Feuerläuten und Siegläuten schallte über Balve hin. Vielen Leuten tat es sehr leid, dass wir unsere alten schönen Glocken abgeben sollen. Manche traten die Tränen in die Augen. Wie viele schöne, aber auch traurige Erinnerungen sind mit den Glocken verknüpft. Manchem haben sie das Geleit zu Grabe gegeben. Sie haben erlebt, wie mancher junge Mann seine erste heilige Messe gefeiert hat. Wie viele andere Erinnerungen sind noch damit verknüpft. Aber ein Trost bleibt uns. Die zwei größten Glocken bleiben uns. Sie stammen aus dem Jahre 1718 und 1720. Die As- und F-Glocken verlassen uns. Sie stammen aus dem Jahre 1721 und 1722. Heute gingen wir auf den Turm. Wir haben uns die Glocken besehen. Das Opfer der Abgabe wird uns sehr schwer werden. Aber wir müssen es aus Liebe zum Vaterlande bringen. Möge es ihm zum Wohle gereichen!

                Treue Liebe bis zum Grabe, schwöre ich dir mit Herz und Hand

                Nicht in Worten, nur in Liedern ist mein Herz zum Dank bereit.
                Mit der Tat will ich erwidern dir in Not, und Kampf und Streit.

Balve, den 2. August 1917

Eintritt in das dritte vierte Kriegsjahr

Heute beginnt das vierte Kriegsjahr. Welch ein Gedanke! Drei Jahre Krieg! Drei Jahre haben wir schon gegen den Feind gekämpft. Mancher schöne Sieg ist gefeiert. Aber wie mancher hat auch sein Blut vergossen auf dem Felde der Ehre. Wie manches schlichte Holzkreuzchen steht wohl auf dem Schlachtfeld. Heute nun beginnt das vierte Kriegsjahr. Wird wohl in diesem Jahr Frieden geschlossen werden? Werden wir wohl noch einen Winterfeldzug mitmachen? Mit Mut und Gottvertrauen wollen wir in das neue Kriegsjahr eintreten.

Balve, den 2. September 1917

Eroberung von Riga

Hurra! Hurra! Riga ist eingenommen. Gestern kam die Nachricht. Es ist gut, dass wir es erobert haben, denn es ist ein guter Hafen. Hoffentlich ist der Friede bald da! Sagen viele Leute, möge es wahr sein!!!

Balve, den 18. Dezember 1917

Waffenstillstand mit Russland

Russland hat Waffenstillstand gemacht. Jetzt gibt es gewiss bald Frieden! Sagten viele Leute. Aber das Morgenrot des Friedens scheint noch nicht heranzunahen. Russland hat wohl Waffenstillstand gemacht. Sehr wahrscheinlich macht es aber noch keinen Frieden.

Balve, den 19. Dezember 1917

Kämpfe in Italien

Hurra! Unsere Truppen haben in Italien viel erobert. Sie haben Udine und Görtz erobert. Siegreich drangen sie über den Tagliamento und Piave bis Venedig. 25.000 Gefangene haben sie gemacht und 1800 Geschütze erbeutet.

Balve, 25. Dezember 1917

Weihnachten!

Schon zum vierten Male im Kriege läuten die Weihnachtsglocken. Heute ist ein rechtes Weihnachtswetter. Schnee ist gefallen. Es ist nicht sehr kalt.

1918

Balve 19. Januar 1918

Hochwasser

Heute war eine schreckliche Nacht. Es regnete ununterbrochen. Deshalb taute das Glatteis auf. Zum Unglück waren die Schleusen geschlossen. Das Wasser der Hönne suchte sich eine andere Bahn. Es drang in die etwas tief gelegenen Häuser. Das Vieh musste weggeschafft werden. Einige Leute mussten ihre Einmachsachen aus dem Keller fischen. Manches Kaninchen ist dem Wasser zum Opfer gefallen. In der Schule fehlten viele Kinder. Uns Kindern war dieses etwas Neues, denn wir können uns des letzten Hochwassers nicht gut mehr erinnern.

Balve den 11. Februar 1917

Friede in Russland

Jetzt ist der Friede mit Russland da! Welch eine Freude ist in Deutschland. Heute Morgen um 1/2 8 Uhr ist die Nachricht gekommen. Die ganze Straße stand voll Leute. Um 9 1/4 Uhr kam der Herr Pastor in die Schule. Er sagte, dass wir mit Russland Frieden hätten. Wir sollten einige »Vater unser« beten. Dann hätten wir siegfrei. Als der Herr Pastor fort war, sangen wir viele Lieder. Erst sangen wir »Großer Gott wir loben dich«. Als wir an der dritten Strophe waren, hörten wir feierliches Läuten. Der Frieden wurde eingeläutet. Danach sangen wir das schöne Lied

»O Deutschland, hoch in Ehren, du heiliges Land der Treu!
Hoch leuchte deines Ruhmes Glanz in Ost und West aufs Neu´.
Du stehst wie deine Berge fest gen Feindesmacht und Ruhm.
Und wie des Atlas Flug von West geht deines Geistes ???.
Haltet aus, haltet aus, lasset hoch das Banner weh´n.
Zeiget ihn, zeigt der Welt, wie wir treu zusammen steh´n.
Dass sich unsere alte Kraft erprobt
wenn der Schlachtruf uns entgegentobt.
Haltet aus im Sturmgebraus….«

Danach sangen wir: »Nun lasst uns aus der Seele Grund«. Dann gingen wir in die Kirche und beteten die Dankandacht. Einige Leute, auch wir, haben heute die Fahne ausgehängt. Hoffentlich sind unsere anderen Feinde bald besiegt! Wäre doch erst der Friede da !!!

Nun lasst uns aus der Seele Grund dem höchsten Gott Dank sagen.
Und preisen ihn mit Herz und Mund jetzt und in allen Tagen!
Denn seine Macht und seine Gnad sich wunderbar bewähret hat
an uns in diesen Tagen!!!

Balve, 9. Februar 1918

Friede mit der Ukraine

Ich habe vom 9. Februar noch nachzutragen, dass in der Nacht vom 8. bis 9. Februar 2 Uhr der Friede mit der Ukraine unterzeichnet ist. Früher gehörte die Ukraine zu Russland. Jetzt ist sie eine Republik. Wären doch erst auch die anderen Feinde besiegt !!!

Balve, 12. Februar 1918

Der Streitpunkt

In letzter Zeit war ein Streit in Berlin und anderen großen Industriestädten Deutschlands. Besonders hat die Jugend sich hervorgetan. Sie wollte zeigen, dass auch sie gelte. Jetzt ist der Streit schon wieder gelegt. So ist es den Sozialdemokraten doch nicht gelungen, Revolution zu machen.

Balve, 14. Februar 1918

Heute hörten wir, dass Russland gar keinen Frieden gemacht hätte, da hatten wir uns mal wieder zu früh gefreut. Es hat nicht Frieden gemacht, sondern den Kriegszustand beendet. In Russland herrschen Pest, Kollera und Hungersnot. Jetzt kämpft Russland schon wieder gegen uns. Vorgestern ist der Waffenstillstand abgelaufen. Wir sind schon bis Estland vorgedrungen. Unsere Tapfern haben 1353 Geschütze, 120 Maschinengewehre, 4-5000 Fahrzeuge, 100 Wagen und 4125 Mann gefangen.

Balve, den 1. März 1918

Preissteigerung während des Krieges.

                1914                      1915-16               1917                      1918            

1 Ei
1 Pfd Mehl
1 Pfd Zucker
1 Pfd Kaffee
1 Pfd Reis
1 Pfd Pfeffer
1 Pfd Zimmt
1 Pfd Butter
1 Pfd Stärke
1 Pfd Käse
1 Pfd Speck
1 Pfd Schinken
1 L Öl
1 L Essig
1 L Milch

Balve, den 2. März 1918

Hütet das heilige Brot!

Von Ilse Franke

  1. Hütet das heilige Brot! Seht ihr die schleichende Not?
    Sie hat unsere frevelnden Freuden, sie hat unser feiges Vergeuden
    mit knöchernen Fäusten bedroht. Hütet das heilige Brot!
  2. Achtet das goldene Korn! Seht, zum Meer schwillt der Born
    rauschenden Bluts unsrer Besten, wollt ihr Träger auch mästen?
    Fürchtet die Schale voll Zorn. Achtet das goldene Korn!
  3. Jede Krume ist wert! Schirmt das Feuer im Herd!
    In eisigen Schützengräben opfert sich edelstes Leben,
    von Frost und Hunger verziert. Jede Krume ist wert!
  4. Hütet das heilige Brot! Hört ihr der Heimat Gebot?
    Helft zum würdigen Frieden! Verdient euch, was euch beschieden!
    Fühlt die eiserne Not. Hütet das heilige Brot!

Reiterlied!
Von Hugo Zuckermann. Gefallen als Leutnant für Österreichs Ehre in den Karpaten.

  1. Drüben am Wiesenrand, hocken zwei Dohlen
    Fall ich am Donaustrand? Sterb ich in Polen?
    Was liegt daran! Eh´ sie meine Seele holen,
    Kämpf´ ich als Reitersmann!
  2. Drüben am Ackerrain schreien zwei Raben –
    werd ich der erste sein, den sie begraben?
    Was ist dabei!
    Viel Hunderttausende traben
    in Österreichs Reiterei!
  3. Drüben im Abendrot fliegen zwei Krähen –
    wann kommt der Schnitter Tod, um uns zu mähen?
    Es ist nicht schad´!
    Seh´ ich nur unsere Fahnen wehen
    auf Belgerad!

Heimkehr des »Wolf«.

Kreuzer »Wolf« hat Ende des Jahres 1916 in deutschen Hafen verlassen. Er ist erst vor 14 Tagen wieder gekommen. Auf seiner Reise hat er fast alle Meere besucht. Er hat für mehrere Millionen Mark wertvolle Sachen mitgebracht, z. B. Gummi, Kakao und Kleidungsstücke und noch vieles anderes.

Balve den 6. März 1918

Wie geht es jetzt mit der Milch?

Die Milch wird jetzt immer seltener. Ich bekomme nur Zentrifugenmilch. Diese ist mit Wasser gemischt. Gestern Mittag und heute Morgen war der Milchgendarm hier. Wir müssten die gemolkene Milch messen. Dann müssten wir ihm die Milchkarten zeigen. Wir selbst bekommen nur 1 l Milch und haben 18 Personen. Der Gendarm meinte, wir hätten nicht genug Milch geliefert. Als er ging, sagte er: »Bessern Sie sich!« Wir hatten aber doch immer viel Milch verkauft und geliefert.

Friede! Friede! endlich Friede!

Friede! Endlich können wir das schöne Wort sagen. Russland hat jetzt wirklich Friede geschlossen. »Nun danket alle Gott!« Es lebe Deutschland!

Balve, den 29. März 1918

Unsere Schule und der Krieg

Auch in unserer Schule können wir merken, dass Krieg ist. Nach dem Beten sagen wir »Der du die Herzen der Könige lenkest wie Wasserbäche, gib den Mächtigen der Erde Gesinnungen des Friedens und lass sie ihre Gewalt nur gebrauchen zum Heile ihrer Völker!« In der Handarbeitsstunde können wir keine Hemden mehr nähen, keine Strümpfe mehr stricken und keine Spitzen mehr häkeln, weil es kein Zeug und kein Garn mehr gibt. In unserer Schule hängen vier Kriegskarten. Wir sprechen oft vom Kriege und sehen die Städte auf den Karten nach. Wenn Sieg gefeiert wird, bekommen wir frei. Wir singen oft Vaterlandslieder. Jetzt haben wir keine Kohle mehr. Deshalb hatten wir gestern frei. Heute ist Sonntag. Hoffentlich haben wir morgen auch schulfrei.

Balve, den 15. März 1918

Jetzt sind im Westen die großen Entscheidungsschlachten. Wir haben schon und 41.000 Engländer gefangen und 400 Geschütze erobert. Einige Leute meinen, es sei Ostern Friede. Wie viel Blut wird aber wohl noch verflossen? Für uns!

Für uns!

  1. Fern, fern im Osten, der gähnt ein Grab.
    Da singt man zu tausend die Toten hinab.
    Für uns!
  2. Im Westen, der ragt manch Kreuz schlicht und klein,
    da liegen sie stumm in langen Reih´n.
    Für uns!
  3. Und wo im Winde rauschet das Meer,
    da gaben sie freudig ihr Leben her.
    Für uns!
  4. Sie opferten Zukunft und Jugendglück,
    sie kehren nie wieder zur Heimat zurück.
    Für uns!
  5. Sie gaben ihr alles, ihr Leben ihr Blut.
    Sie gaben es hin mit heiligem Mut.
    Für uns!
  6. Und wir? Wir können nur weinen und beten,
    für Sie, die da liegen, bleich, blutig, zertreten.
    Für uns!
  7. Denn es gibt kein Wort, für das Opfer zu danken.
    Und es gibt keinen Dank für sie, die da sanken.
    Für uns!

Patrouille

Patrouille durch die Mondnacht. Ein Deutscher schleicht und lauscht und wacht.
Horch, raschelt Wind im Ufergras? Da hebt sich lauernd, eiferblass,
vom Grabenrand, von drüben her, ein Antlitz, spähend grad´ wie er.

Und lautlos starren drohend dicht, zwei Feinde sich ins Angesicht.
Ein Knall, zwei Kugeln hin und her. Ein Aufschrei: Mutter, – o ma mére.
Im Graben zwischen Rand und Rand
steht hoch der Tod.
In einer Hand zuckte ihn des deutschen Fingers Druck
die andere greift mit jähem Ruck
des Franzmanns kalte Sterbenot.
Oh, Menschen, sinnend steht der Tod.

Balve, den 13. April 1918

Weißen Sonntag 1918

Meine zwei Brüder Franz Josef und Adalbert sind elf und zehn Jahre alt. Sie sind gleich groß und unzertrennlich. Man kann glauben, sie wären Zwillinge. Nach Ostern sollen sie auf das Gymnasium in Menden. Deshalb wollten Vater und Mutter auch gerne, dass sie zusammen zur ersten heiligen Kommunion gingen. In der Vorbereitungszeit haben sie sich gut vorbereitet und haben jeden Tag den lieben Heiland im heiligen Sakramente besucht. Am weißen Sonntag knieten sie zusammen in der letzten Bank. Sie hatten ein schönes Plätzchen. Am Morgen haben Maria und ich sie zur Schule begleitet. In der Schule legten sie feierlich das Taufgelübde ab. Der Herr Vikar betete die Kommunionsgebete vor. Endlich war der schöne Augenblick gekommen, wo sie dem lieben Heiland ihr ganzes Herz schenken konnten. Ich musste sie zur Kommunionsbank führen. Die ganze Gemeinde sang das schöne Lied: »Lass die Kindlein zu mir kommen«. Bald war die Messe aus. Am Nachmittag war Dankandacht.

…., den 21. April 1918

Richthofen ist gefallen!

Heute traf eine große Trauernachricht ein. Unser tapferer Fliegerkönig Richthofen ist tot. Auf seinem 80. Fluge hat ihn der Tod ereilt. Er hat treu seine Pflicht im Dienste des Vaterlandes erfüllt. In Deutschland wird er nicht vergessen werden!

  1. In den holden Lenzestagen stieg zum blauen Himmelszelt
    ohne Grauen, Furcht und Zagen Richthofen als Fliegerheld.
    Er flog wie eine Lerche, sang grüßend zum Abschied.
    Hoch über Tal und Berge, das schönste Frühlingslied.
  2. Die Melodien erklangen ach, so wundersam hinab.
    Ihn bald wilde Raben zwangen zum Sturz ins Heldengrab.
    Er kämpfte zum Ermatten im frühsten Morgenrot,
    Umhüllt von Todesschatten endlich bis zu dem Tod.
  3. Über Frankreichs Schlachtgefilde, flog er uns zum Kampf voran.
    Wir sehn ihn noch im Bilde, im Flug zur Todesbahn.
    Richthofen ist gefallen, so ritterlich als Held
    sein Lob wird nicht verhallen, und bleiben auf der Welt.
  4. Es ruft der Heldenflieger friedlich fern vom Vaterland,
    der schon achtzig Mal als Sieger, einen Lorbeer(?) fand.
  5. Sein Ruhm wird nie verschwinden, drum klingt es wunderschön
    dass Erd und Himmel künden: Ruh sanft, auf Wiedersehen!

Balve, den 25. April 1918

Friede! Friede! Ja jetzt hat auch Rumänien Frieden gemacht. Es kommt an Österreich. Dieses muss aber seinen Weg bis zum Schwarzen Meer freilassen, damit Rumänien noch Handel treiben kann.

Erst kamen wir ins Reine, mit der Ukraine

dann ließ sich spinnen, Friede mit den Finnen.

Eben zum Friedensschlusse, kam der Großrusse.

Mit Stöhnen und Tränen, nah´n die Rumänen.

Von einer Stadt wandern, Boten zur andern

bis alles im Osten auf Ruheposten.

Jetzt räumen wir im Westen, auf mit den Resten.

So lässt sich in Stücken, Weltfrieden flicken.

Balve, den 15. Mai 1918

Kriegskinder 1918

Heute kamen die Kriegskinder. Sie sind auch dieses Jahr aus Bochum. Es kam 21 Kinder nach Balve. Wir haben auch ein Mädchen genommen. Es heißt Anna Heintze. Die Kriegskinder gehören alle zur Marienpfarrei und die meisten sind aus der Rhoonstraße. Ich hole unsere Anna an der Bahn ab. Jetzt sind sie bei uns in der Schule. Sie sind ganz artig und fleißig. Sie gehen auch mit, wenn wir für das Heer Laub holen.

Balve, den 20. Mai 1918

Die achte Kriegsanleihe

Jetzt muss schon die achte Kriegsanleihe gezeichnet werden. Das Vaterland braucht Geld! Bei den vorigen Kriegsanleihen ist immer sehr gezeichnet worden. Auch bei der achten Anleihe ist viel gezeichnet worden. In unserer Schule waren die Kinder ja nicht so eifrig wie früher, aber das deutsche Volk hat doch sehr zahlreich gezeichnet. Es waren im ganzen Milliarden. Diese Opferwilligkeit des deutschen Volkes steht unübertroffen in der ganzen Weltgeschichte da und beweist ebenso wie seine Heldentaten im Felde, dass es nicht nur die Kraft, sondern auch den festen Willen hat zu siegen.

Die sieben ersten Kriegsanleihen

Im Oktober 1914 war die erste Kriegsanleihe. Der Riesenerfolg dieser Anleihe erweckte große Freude. Viereinhalb Milliarden Mark – die meisten konnten sich die Summe gar nicht vorstellen. Die Kinder erzählten zuhause, was sie darüber gerechnet hätten. 1 Million in Gold wiegt 8 Ztr. Eine Milliarde hat 1000 Millionen. 1 Milliarde wiegt also 8000 Zentner. Viereinhalb mal 8000 ist 36.000 Zentner Gold. Ei, wo kommt denn das viele Gold her? Ja, in Deutschland ist noch viel mehr Gold. Das beweist die zweite Anleihe, welche im Frühjahr 1915 ausgeschrieben wurde und das doppelte 9 Milliarden einbrachte. Aber noch größere Scharen strömten zu den folgenden Anleihen herbei, um dem Vaterlande ihre Ersparnisse zur Verfügung zu stellen; über 12 Milliarden wurden bei der dritten, 10,7 Milliarden bei der vierten und beinahe ebenso viel 10,6 bei der fünften … bei der sechsten … bei der siebten und … bei der achten Anleihe gezeichnet. Auch die deutsche Jugend hat zu diesen Milliardensiegen beigetragen, wofür ihr der Kaiser Lob und Dank spendete.

Die Kriegsanleihe

  1. Fünfthalb Milliarden auf einen Schlag,
    auch das ist ein deutscher Siegestag.
  2. 500 Millionen Mark, auch das
    ist ein Klang, hell, stolz und stark.
  3. Wie Trompetenton, so schmettert es drein,
    für Deutschland setzen wir alles ein.
  4. Offen das Herz und offen die Hand,
    alles und alles dem Vaterland!
  5. Ihm unsere Habe ihm unser Gut,
    und in jeder Mark unser Schweiß, unser Blut.
  6. In jeder Mark unsere Arbeit und Kraft,
    Deutschland wir haben für dich geschafft.
  7. So früh war kein Tag, keine Nacht so spät.
    Und in jeder Mark, der klingt ein Gebet.
  8. So betet die treuerfüllende Pflicht,
    hell und klirrend, voll Zuversicht.
  9. Unsere Waffen, Gott, den grimmigen Trutz,
    unserem tapferen Heer deines Segens Schutz!

Balve, den 20. Juni 2018

Schuhkursus

Jetzt sind die Schuhe rar und teuer. Es gibt keinen Sohlleder mehr. Ein paar Schuhe für Erwachsene kostet 100 Mark. Deshalb muss man jetzt Zeugschuhe machen. Heute halb 9 Uhr kam eine Schwester. Sie leitete den Schuhkursus. Wir machen darin Pantoffel. Viele Leute wohnen dem Kursus bei. Ich und einige meiner Mitschülerinnen wohnen dem Kursus bei. Ich mache erst Pantoffel. Man kann auch Schuhe machen. Der Kursus kostet für drei Wochen drei Mark. Unter die Pantoffel kommt eine Filzsohle. Unter die Schuhe wird eine Holzsohle genagelt.

Balve, den 1. August 2018

Wir sammeln Laubheu

Auch wir Kinder können schon unsere Kräfte in den Dienst des Vaterlandes stellen. Jetzt müssen wir Laubheu sammeln. Die armen Pferde an der Front haben kein Futter mehr und wir Deutschen können nicht weiter. Da muss geholfen werden. Die Regierung weiß sich aber immer zu helfen. Jetzt muss der Wald uns Dienste leisten. An schönen Tagen müssen wir Laub sammeln. Mit Sang und Klang geht es in den Wald hinein. Jedes Kind hat einen Sack unterm Arm. Wir gehen in den Balver Park, den Schieberg. Dieser ist ein sehr schöner Wald. Die schlanken Bäume stehen da wie Säulen. Durch die Äste der Bäume scheint die Sonne. In den höchsten Gipfeln lassen die Vögel ihr Lied ertönen. Der Zimmermann des Waldes, der Specht hämmert an den Rinden der Eichen herum. Eichhörnchen springen von Ast zu Ast. Nun sind wir an einer Stelle angelangt, wo viel Laub ist. Hier wollen wir bleiben. Jetzt werden die Säcke losgebunden und die Arbeitsschürzen umgetan. Alles fangt fleißig an zu arbeiten fürs liebe deutsche Vaterland. Ja, mit Herz und Hand fürs Vaterland! Im Nu ist ein Baum geklettert. Ein Kind sitzt wie ein Eichhörnchen auf einem schwankenden Aste. Einige Kinder stehen unter dem Baume und warten. Jetzt legt sich der Baum herum und die Kinder fangen an zu pflücken. In 5 Minuten ist der Baum leer. So geht es den ganzen Morgen weiter. Bald sind die Säcke gefüllt. Tante hebt sie auf, ob sie schwer genug sind. Da wird gelobt und getadelt. Jetzt treten wir den Heimweg an. Wir bringen das Laub auf die Winterschule zum Trocknen. Leb wohl, du schöner Wald! Du schöner deutscher Wald, Lebewohl!

Balve, den 6. August 1918

Brennnesselsammeln

Da uns durch den Krieg der Verkehr mit anderen Ländern abgeschlossen ist, herrscht in Deutschland große Kleidernot. Da können wir Kinder dem Vaterlande helfen. An schönen Nachmittagen wird die Schubkarre geholt, ein langer dicker Handschuh angezogen und eine Sichel in die Hand genommen. Dann geht‘s ins Feld, dort werden Haufen Brennnesseln geschnitten und auf die Karre geladen. Wenn sie hoch voll bepackt ist, fahren wir nach Hause. Die Nesseln werden an der Sonne auf Papier getrocknet. Der Samen der Nesseln fällt auf das Papier und das Pfund Samen kostet zehn Mark. Die Nesseln werden abgestreift und in Packen gebunden. Dann bringen wir sie auf die Knabenschule, wo sie gewogen werden. Für ein Zentner Nesseln gibt‘s 14 Mark. Für 15 Zentner gibt‘s einen schulfreien Tag. Jede Woche wird eine große Ladung Brennnesseln versandt. Sie werden zu Zeug verarbeitet. Wir wollen eifrig weiter sammeln. Hoch lebe unser mächtiges Vaterland!!!

Roggenernte! 1918!

Jetzt ist Roggenernte. Das ist im Krieg etwas besonders Wichtiges. Es geht ja um´s liebe Brot! In den letzten Tagen gab‘s in Balve fast gar kein Brot. Jetzt aber hat das keine Not mehr. Gestern lieferten viele Bauern. Auch wir haben Raum geliefert. In diesem Jahre wollen wir auch wieder das Brot hüten. Dann wird Englands Plan, uns auszuhungern, nicht in Erfüllung gehen.

Des deutschen Volkes Gebet!

  1. Segne, Vater die wogende Saat im weiten Feld!
    Bauernhände schwielig und hart, haben den Acker bestellt.
    Wir tragen eine Bitte im Herzen, ein Flehn,
    Herrgott, lass unseren Feldern Gnade gescheh`n!
  2. Wir legten vertrauend das heilige Korn hinein,
    in die Furchen der Heimat zu starkem Gedeih´n
    dass es Wurzel fasse in deutscher Erde Schoß
    dass es Früchte trage, und werde hoch und groß!
  3. Ein Brotbaum wachse empor, goldleuchtend und breit,
    der sein Manna und spendet zur rechten Zeit.
    Der dröhnend es kündet jedem der uns droht:
    Deutschland wird leben! Deutschland hat Brot!
  4. Lass deine Sonne, Herr, güldene Wache stehen
    lass deiner Wolke Kraft stärkend herniedergehen,
    hoffend und harrend steh´n wir in Not und Krieg
    segne die Erde, Herr, gib uns den Sieg.

Balve, den 8. August 1918

Der Zar ist ermordet!

In Russland ist die Ruhe und der Friede noch nicht wiederhergestellt. In der ersten Zeit der Revolution hat man den Zar in die Gefangenschaft verwandt. In der letzten Zeit hat man ihnen getötet. Die Gunst, seine Gemahlin und seine Töchter noch einmal zu sehen, hat man ihm nicht gewährt. Er ist ermordet in die Jekathrinburg. Man sagt sogar, der Zarewitsch sei auch ermordet. Soweit kann es kommen mit einem Volke, das Gott und dem Kaiser nicht mehr gehorchen will.

Balve, den 15. August 1918

Die Stimmung in Deutschland!

In unserem Vaterlande ist jetzt eine traurige Stimmung. Die Leute glauben, der Sieg fiele nicht auf unserer Seite. Und doch werden wir siegen! Unser tapferes Heer wird die Strapazen des Krieges aushalten. Aber dann muss auch das Volk helfen zum würdigen Frieden. Die Franzosen und Engländer werden uns nicht besiegen, wenn wir einig sind, denn »Noch nie wie war Deutschland überwunden, wenn es einig war. Aber die Soldaten können nicht allein den Frieden erwirken, das Volk muss helfen. Dann kann Deutschland nicht zugrunde gehen. Hoch lebe Deutschland unser liebes, teures Vaterland!

Balve, den 25. August 18

Jetzt werden die Franzosen ausgetauscht, welche vier Jahre hier sind. Als die Franzosen gekommen waren, bekamen wir zwei mit Namen Josef und Heinrich. Letzterer arbeitete nicht, deshalb kam er fort. Dann kamen fünf Franzosen nach Wocklum, die wir beköstigten. Ihnen wurde bald der Weg zu weit. Auch sie mussten weg. Einen aber, mit Namen Paul Polette, behielten wir. Er gab uns immer Leckereien mit. Wir lernten ihm die Landwirtschaft. Bald hatten wir zwei gute zuverlässige Franzosen, Josef und Paul. 1917 aber musste Paul nach Levermann in Beckum. Als er ging, weinte er. Sehr oft besucht er uns sonntags. Jetzt bekamen wir noch zweimal andere Franzosen. Aber auch diese kamen bald fort. Jetzt bekamen wir einen Georg. Dessen Bruder ist auch hier. Seit vier Jahren hatten sie sich nicht mehr gesehen. Heute wurde Georg ausgetauscht. Wir haben einen Russen mit Namen Michael. Josef ist auch noch hier. Er ist jetzt drei Jahre bei uns.

Balve, den 19. August 1918

Das Wetter

Es ist jetzt sehr schlechtes Wetter. Das Getreide ist abgemäht, aber noch nicht ins Haus geholt. Jetzt regnet es schon sechs Tage. Das Getreide fängt an zu keimen. Wir wollen tüchtig beten, dass es gutes Wetter gibt und die Ernte gut einkommt.

Balve den 19. August 1918

Es weht ein frischer Hauch durch diese Zeit.
Ein neuer Geist geht durch die deutschen Lande,
der Geist des Starkmuts und der Einigkeit
knüpft wieder neu die altgewohnten Bande.

Und neu geschmiedet wird der treue Bund.
Es kann kein Zwiespalt unsere Macht zergliedern.
Und jeder fühlt im tiefsten Herzensgrund:
wir sind ein Volk – ein einig Volk von Brüdern.

Der Gott der einst mit unseren Vätern war,
ob eine Welt von Feinden uns umdrohte,
so wird sie dreifach unsere Kraft entflammen,
wir kennen eines nur: »Sieg oder Tod!«
und stehen unentwegt und fest zusammen.

Der Gott der einst mit unseren Vätern war,
er hilft uns auch der Feinde Macht bezwingen,
und freiheitsfreudig hebt der deutsche Aar
ins Licht die starken sieggewohnten Schwingen.

Balve, den 1. September 1918

Wie hamstert man jetzt?

Dass die Hamsterleute jetzt vom Gendarm nicht gepackt werden, denken sie allerlei Mittel aus. Sie nähen sich Taschen, die wohl 40-50 Eier tragen, unter die Kleider. In den Zeitungen stehen jeden Tag Beispiele, wie der Gendarm die Hamsterer gepackt hat. Eine Dame ist in Hamm eilig mit einem Geigenkasten über die Straße gegangen. Der Gendarm hat sie angehalten. Sie hat gesagt, sie müsse eilig ins Konzert. Aber der Kasten wurde geöffnet und der Inhalt war, anstatt einer Geige, Butter und Eier. In einer anderen Stadt ist eine Frau mit ihrem »Kinde« durch die Straße gegangen und das »Kind« hatte ein ?? und eine Mütze auf. Aber was war das? Die Frau sprach immer mit dem Kinde, welches aber keine Antwort gab. Bei der Untersuchung fand man einen kleinen Sack Kartoffeln, worauf ein großer Puppenkopf war. Auf einem Milchwagen saß eine alte Frau. Weil sie sich gar nicht bewegte, sahen die Leute zu, was das war. Man fand ein verkleidetes Schwein. Es wird jetzt auch so gestohlen. In einer Molkerei sind 2000 £ Butter gestohlen worden. In Wocklum bei Balve hat man Betten und Hühner gestohlen.

Schneenacht

Es stäubt der Schnee, unsere Helden frieren,
das ist ein Weh´ bei Menschen und Tieren.
Mein Zimmer ist warm, die Lampe brennt,
sie sind auf Wegen, die keiner kennt,
im Feuerregen, auf einsamer Wacht.
Im Schützengraben bei Tag und bei Nacht,
auf hartem Lager, durchtränkt von Blut,
in Qualen und Schauer und Fieberglut,
und Heimatbilder an kahler Wand,
und keine linde, zärtliche Hand,
kein banges Flüstern, das um sie klagt,
und nur noch einmal »du Lieber« sagt.
Und endlich, da draußen im Bett im Schnee
wie tut nur die Wärme der Heimat so weh´.
Wie trug ich so gerne mein Licht durch die Nacht,
zu einem Tapfern, der frierend wacht!

Patrouille!

Patrouille durch die Mondennacht!

Ein deutscher schleicht und lauscht und ??
Horch, raschelt Wind im Ufergras?
Der hebt sich lauernd eiferblass
vom Grabenrand, von drüben her
ein Antlitz, spähend grad wie er.
Und lautlos starren drohend dicht,
zwei Feinde sich ins Angesicht.
Ein Knall – zwei Kugeln hin und her.
Ein Aufschrei, »Mutter!« »O ma mére!«.
Im Graben zwischen Rand und Rand
steht hoch der Tod. In einer Hand
zuckt ihn des deutschen Fingers Druck,
die andere greift mit jähem Ruck,
des Franzmanns kalte Sterbenot.
Um Menschen, sinnend steht der Tod!

Balve den 6. September 1918

Es wird immer schlimmer mit dem Hamstern. Täglich kommen ganze Prozessionen vom Bahnhof. Als die Wald- und Himbeerernte war, waren immer die Berge voll von Städtern. Man wusste fast keine Beeren mehr zu bekommen.

Balve, den 15. Oktober 1918

Die Grippe

In Deutschland ist jetzt eine furchtbare Krankheit aufgetreten. Es ist die »spanische Grippe«. Daran sterben namentlich Frauen und junge Mädchen. Wir hatten auch alle die Grippe. Vater, Mutter, wir sieben Kinder und die Mädchen hatten diese Krankheit.

Balve, den 27. Oktober 1918

Was bringt uns die Zukunft?

Wir gehen jetzt einer schlimmen Zeit entgegen. Man hört überall Vorfälle, die nicht sein dürfen. Die Sozialdemokraten werden immer dreister und frecher. Sie hetzen das Volk auf. Es ist jetzt eine neue Regierung gebildet worden. Prinz Max von Baden ist Reichskanzler. Graf von Hertling hat sein Amt niedergelegt. Man spricht allenthalben davon, dass der Krieg aufhören müsse. Das Volk bedenkt nicht, dass, wenn wir nicht aushalten, unser Vaterland zugrunde gehen wird. Das sind trübe Aussichten. Gott möge uns helfen!

Unser Kaiser hat abgedankt!!!

Balve den 1. November 1919

Was schon vor einigen Tagen in den Zeitungen angedeutet wurde, und vom Volke befürchtet wurde, ist Wirklichkeit geworden. Der Kaiser hat dem Thron entsagt. Gestern war der schmachvolle Tag für unser armes, unglückliches Vaterland. Durch die Vorgänge im Reiche und an der Front wurde er zur Abdankung gezwungen. Seine Leibgarde erklärte, sie werde nicht auf ihre Kameraden schießen. Wir haben es wohl befürchtet, aber noch immer gehofft, er werde nicht abdanken. Manchen Deutschen hat diese Kunde mit Trauer und Schrecken erfüllt. Wir wollen unserm Kaiser die Treue bewahren. In der Schule haben wir für unseren Kaiser gebetet und das Lied gesungen: »Für unseren Fürsten beten wir!« Das Bild des Kaisers haben wir schon bekränzt.

Balve den 2. November 1918

Allerseelen 1918!

Heute ist Allerseelen! Allerseelen 1918!

Wie traurig sieht es in unserem lieben, teuren Vaterlande aus. Alles Blut und alle Opfer sind umsonst gewesen. Trauernd stehen wir im Geiste an den Gräbern unserer Tapferen im Feindesland, die für uns und das Vaterland geblutet haben. Auch unserer lieben Toten auf unserem Kirchhofe gedenken wir. Was für ein schönes Vaterland haben sie gehabt! Wir aber müssen die Schmach und das Elend unserer teuren Heimat vielleicht noch viele, viele Jahre ansehen. Auch dieses Jahr können wir den Verstorbenen keine Fackeln und keine Kerzen aufs Grab stellen. Stattdessen wollen wir Ihnen innige Gebete für sich und das teure Vaterland aufs Grab legen. Der Herr gebe allen Verstorbenen die ewige Ruhe, und das ewige Licht leuchte Ihnen!

Revolution!

Am 9. November brach nach langer Gärung die Revolution aus. Sie wurde von einigen fahnen­flüchtigen Matrosen in Kiel wachgerufen. Schnell verbreitete sich das Unglück über das ganze deutsche Reich. Überall sind nun Streitigkeiten losgebrochen. Die Arbeiter streiken besonders in den Industriegegenden. Was soll das werden? Arbeiter- und Soldatenräte werden gewählt. Die früheren Staatsherren haben nichts mehr zu sagen. Die Gefängnisse werden geöffnet, und die Verbrecher freigelassen. Jeden Tag liest man in der Zeitung von Raub, Mord und Diebstahl. Es herrscht eine »kaiserlose, schreckliche Zeit«. Oh armes Vaterland!

Wo rohe Kräfte sinnlos walten, da kann sich kein Gebild gestalten;
wenn sich die Völker selbst befrein, da kann die Wohlfahrt nicht gedeihn.
Weh, wenn sich in dem Schoß der Städte der Feuerzunder still gehäuft,
das Volk, zerreißend seine Kette, zur Eigenhilfe schrecklich greift!

Freiheit und Gleichheit! Hört man schallen, der ruh´ge Bürger greift zur Wehr;
die Straßen füllen sich, die Hallen, und Würgerbanden zieh´n umher.
Da werden Weiber zu Hyänen und treiben mit Entsetzen Scherz;
noch zuckend, mit des Panthers Zähnen, zerreißen sie des Feindes Herz.
Nichts Heiliges ist mehr. Es lösen, sich alle Bande frommer Scheu;
der Gute räumt den Platz dem Bösen, und alle Laster walten frei.

Gefährlich ist´s, den Leu zu wecken, verderblich ist des Tigers Zahn.
Jedoch der schrecklichste der Schrecken, das ist der Mensch in seinem Wahn.

Wie steht es in Balve mit der Revolution?
Auch in Balve zeigt die Revolution ihre Folgen. Es sind auch in Balve Arbeiter- und Soldatenräte gebildet worden. Wie ist das nur gekommen? Vor einigen Tagen lachten wir noch darüber, und jetzt ist es Wirklichkeit geworden. In den vorigen Tagen kamen Mitglieder des Iserlohner Soldatenrates, um hier den Soldatenrat zu gründen. Sie hatten rote Schleifen an Hüten und Jacken. Sie hielten oft Vorträge. Steinberg, Schneider, Dransfeld und noch andere wurden gewählt.

Der Herr Amtmann darf nichts ohne die Einwilligung des Soldatenrats tun. Auf der Post und dem Amte ist eine rote Fahne ausgehängt worden. Man sagt, die Postfahne sei von einem gefärbten Betttuch. Sie ist ganz zerrissen. Man sollte nicht meinen, dass es möglich wäre! Der Iserlohner Soldatenrat ist in diesen Tagen zum Wocklumer Schloss gefahren, um dort zu rauben. Das ist ihm aber nicht geglückt. Einige Leute freuen sich, dass jetzt eine bessere Zeit kommen würde. Die meisten aber haben wenig Achtung vor dieser Regierung.

Veröffentlichung der Waffenstillstandsbedingungen

In diesen Tagen wurden die Waffenstillstandsbedingungen veröffentlicht. Scheint, als ob unsere Feinde gar kein Gefühl hätten. Die Bedingungen sind schrecklich, einfach unerhört. Fast alle Kraftwagen und viele Eisenbahnzüge sollen wir abgeben. Auch viele wirtschaftliche Forderungen wurden gestellt. Ich will sie alle nächstens einschreiben. Das Rheinland wird 15 Jahre von Engländern, Amerikanern, Franzosen und Belgiern besetzt. Sie wollen damit bezwecken, dass das Rheinland selbst zu ihnen gehören will. Das wird aber gewiss nicht geschehen. Das schöne, deutsche Elsass mit dem schönen Straßburg haben die Franzosen bekommen. Wie werden wohl die Friedensbedingungen ausfallen! Viele Leute sehen sehr schwarz in die Zukunft.

Die deutschen Helden kehren in die Heimat zurück

»Was mag der Klagen Tränenflut noch frommen? Ihr deutschen Helden, seid willkommen! Ihr kehret heim, von keinem Feind besiegt«

Unsere Feinde haben uns so schmähliche Waffenstillstandsbedingungen aufgelegt. Das besetzte Gebiet musste binnen 30 Tagen geräumt sein, und wir mussten sehr viele Eisenbahnen und Kraftwagen abgeben. Zum Unglück musste Deutschland darauf eingehen. Unsere Tapfern mussten deshalb zu Fuß in die Heimat zurückkehren. Sie waren es, die vier lange Jahre den Feind von den Grenzen des Vaterlandes ferngehalten hatten, die unbesiegten tapferen Helden. Sie waren Deutschlands Heldensöhne, die mit Mut und treuer Liebe zum Vaterland so viele Entbehrungen und Leiden ertragen haben. Auf allen Straßen und gangbaren Wegen strebten sie der Heimat zu. Auch durch unser Heimatsstädtchen Balve kamen viele Truppen. Um sie recht würdig zu empfangen und von der Trauer um das unglückliche Vaterland nichts merken zu lassen, schickten wir uns an, alles für ihren Empfang vorzubereiten. Es wurde tüchtig Grün geholt und bekränzt. Wir Mädchen mussten auch viel helfen. Bald stand ein prachtvoller Triumphbogen auf der Hönnebrücke mit der Inschrift »Willkommen ihr tapferen Krieger«. Zwei schöne Ehrenbogen standen in der Mitte und am Eingang der Straße. Auch sie waren mit schönen Inschriften verziert. Ganz Balve hängte die Fahnen zum Gruße aus. Einige kamen geritten, aber die meisten waren auf Wagen. Viele hatten dicke russische Schafsfellmäntel an. Die Feldküchen kamen zuletzt. Jeden Tag kamen jetzt Truppen, dieses waren denkwürdige Tage. Jetzt kamen bis Weihnachten immer Truppen durch. Sogar des Nachts fuhren sie durch Balve. Viele lagen hier im Quartier. In Kohnen und in unserem Saale waren Waffenquartiere. Die Säle waren aber gut geheizt. Dann waren hier auch Einzelquartiere. Es war fast kein Haus, in dem keine Soldaten waren. Sogar in den zwei anderen Schulen waren Soldaten. Es ist dort nach den Herbstferien und bis nach Weihnachten keine Schule gehalten worden.

Die Feldküchen standen auf den Wiesen und Höfen. In allen Scheunen, Ställen und Tennen waren die Pferde. Sogar in der Ziegelei und in der Höhle waren Soldaten mit ihren Pferden. Balve glich einem wirklichen Heerlager. Den durchziehenden Kriegern gaben wir jedem eine Tasse heißen Kaffee. Vor Gerken Mauer standen drei lange Tische mit vielen Tassen. Aus allen Häusern wurden Kaffeekannen gebracht oder geholt. Einige Leute taten auch Zucker in den Kaffee. Das schmeckte den Soldaten besonders gut. Die Soldaten nahmen den Kaffee sehr gern an. Am Abend vor Weihnachten kamen noch 90 Mann an. 30 lagen noch hier im Quartier. Wir haben Ihnen auch eine kleine Freude gemacht. Zwei große Christbäume wurden im Kohneschen und im Kremerskottschen Saale aufgestellt. Auf den Gabentischen lagen für jeden Kriegeräpfel, Spekulatius und ein Andenken an Balve. Die Soldaten freuten sich gewiss sehr darüber. Am zweiten Weihnachtstag zogen die letzten Soldaten ab. Danach kamen noch einzelne kleinere Truppen durch Balve. Es ist sehr traurig, dass Deutschlands Heer auf diese Weise in die Heimat zurückkehren musste.

  1. Was mag der Klagen Tränenflut noch frommen?
    Ihr deutsche Heldenscharen, seid willkommen.
    Ihr kehret heim von keinem Feind besiegt.
    Vergebt, dass ringsum frohe Lieder schweigen,
    dass unsere Häupter sich voll Schwermut neigen,
    und auf dem Antlitz tiefe Trauer liegt.
  2. Mit welchem Mute habt ihr standgehalten!
    Getrotzt dem Ansturm feindlicher Gewalten,
    in kaum begreiflich festem Widerstand.
    Und doch geschah´s. Das Alte liegt zertrümmert.
    Und durch des Unheils Wolkenmassen schimmert
    kein Hoffnungsstrahl dem treuen Vaterland.
  3. Zu ihm soll nie die deutsche Treue wanken.
    Doch euch, ihr Unbesiegten, woll´n wir danken.
    Mit heißem Dank, der ewig uns durchglüht.
    O reicht uns eure treuen Bruderhände,
    dass alles Elend sich zum Heil uns wende
    und Volk und Vaterland uns neu erblüht.

Rheinisch-Westfälische Republik

Es wird jetzt viel von einer Rheinisch-Westfälischen Republik gesprochen. Es ist jetzt eine völlig religionslose Regierung am Ruder. Sie will sogar die Religion aus der Schule haben. Adolf Hoffmann ist der Hauptmann. Er ist der höchste Minister für Kunst und Wissenschaft. Er kann aber noch nicht so viel wie wir in der Schule. Er kann noch nicht »mir« und »mich« unterscheiden. Rosa Luxemburg gehört auch zu dieser Partei. Sie war erst Waschfrau. Beide sind Sozialdemokraten und Spartakisten. Die Rheinländer und Westfalen sind fast ganz gut katholisch. Sie wollen die Religion behalten. Deshalb wollen sie sich von Deutschland trennen und eine selbständige Republik bilden. Es wird sehr viel darüber geschimpft, obwohl es so gut gemeint ist. Aber auch viele gute Katholiken sind dagegen, denn sie wollen nicht, dass Deutschland so zerstückelt wird. Unsere Feinde wollen das Rheinland an sich reißen. Auch deshalb soll die Republik gegründet werden, denn dann kommt das Rheinland nicht in die Hände der Feinde. Was es wohl geben wird?

Wie geht es unserem Kaiser?

Unser Kaiser musste aus Deutschland, denn er war hier nicht sicher. Er ist in Holland. Dieses Land will ihn nicht herausgeben. Es hat sich immer als ein treuer Freund gezeigt. Es wird viel über den Kaiser geschimpft. Das ist nicht recht, denn das hat der Kaiser nicht verdient. Er hat sich nichts zuschulden kommen lassen. Seine Gemahlin ist in Potsdam. Der Kronprinz ist auch in Holland. Seine Familie ist auch in Potsdam. Unser Kaiser war immer ein guter, treuer Fürst. Das sagt jeder treue Deutsche, der nicht »rot« ist.

Nationalversammlung

LinkeMitteRechte
Früher Sozialdemokratie jetzt Unabhängi-ge und SpartakusGemäßigte SozialdemokratieFrüher Linksliberale, Freisinn. Fort-schrittliche Volkspartei.
Jetzt Deutsche Demokratische Partei
Früher Zentrum jetzt Christliche VolksparteiFrüher National-liberale jetzt Deutsche VolksparteiFrüher Konservative und Christ-soziale. Jetzt Deutsch-nationale Volkspartei
      

1919!

Balve im Januar 1919

Die Wahlen

Schon seit Wochen hörte man, dass bald gewählt werden müsse. Es waren zuweilen Vorträge. Die Geistlichen predigten viel von den Wahlen. Sie empfahlen den Leuten besonders, doch nicht »rot« zu wählen. Der Herr Pastor sagte, wer »rot « wählte, beginne eine Todsünde. Wenn die Roten ans Ruder kämen, dann hörte die Religion auf. In Balve wurde ein Zentrumsausschuss gewählt. Jedes Mitglied bekam einen Teil von Balve zugewiesen. In den Familien, die in diesem Teile wohnten, musste es für das Zentrum werben. Es wurden auch Wahlzettel verteilt und im Hirtenschreiben des Hochwürdigsten Herrn Bischofs, der allen recht warm ans Herz legte, jetzt ihre Pflicht zu tun. Vater hatte auch Familien auf seiner Liste, wo er werben musste. Der Zentrumsausschuss hatte bei uns seine Versammlungen. Am 19. und 26. Januar fanden die Wahlen statt. Es waren beides Sonntage. Um 9 Uhr war schon die letzte Messe, damit der übrige Teil des Sonntags zum Wählen bliebe. Die Andacht fiel aus. Trotz aller Mühen waren in Balve doch bei der ersten Wahl 35 »Rote« und 632 Zentrumstimmen. In Garbeck waren 19 »Rote«. In Langenholthausen war kein »Roter«. Das war eine besondere Ehre. Tafeln waren trotz aller Befürchtungen nur sieben »Rote«. Wahlberechtigt war jeder, der 21 Jahre alt war. Alles was gehen konnte, ging zum Amte. Alte und kranke Leute wurden gefahren oder getragen. Bei der zweiten Wahl waren in Balve 32 »Rote«.

Wir stehen jetzt in ernsten, schweren Stunden,
in weiter Ferne blinkt kein Hoffnungsstrahl.
Wir bluten aus so vielen, tiefen Wunden.
Kein Schimmer dringt in dieses Tränental.

Oh, mög´ doch bald ein Retter uns erscheinen,
der aus der Not hilft unserm Vaterland.
Dass bald aufhör´ das Klagen und das Weinen,
und alle einige ein festes Band!
                                                               (Von mir.)

Übertragung der Fabel: der sterbende Löwe

Tief im Urwald lag eine Höhle. Ein Löwe hatte hier jahrelang gehaust. Er war der Schrecken der Tiere gewesen. Jetzt war die Zeit da, wo auch er, der König der Wildnis, sterben musste. Als seine Feinde dies vernahmen, kamen sie von nah und fern hinzu, um Rache an ihm zu nehmen. Wir unterscheiden da rohe, gemeine, und niederträchtige Tiere. Der Fuchs gebrauchte seine List und Klugheit dazu, um ihn zu verspotten. Der rohe Wolf schleudert ihm Schimpfworte ins Gesicht. Der Ochs und das Schwein benehmen sich gemein. Sie stoßen und beißen den Löwen. Der träge Esel gibt ihm einen Schlag seinen Hufen. Nur das alte Pferd tut dem Löwen nichts zuleide.

Auch Deutschland, unser armes Vaterland, liegt sterbend am Boden. Früher war es so groß und stark und mächtig. Es gehörte zu den ersten Reichen der Welt. Jetzt ist es vernichtet und zertrümmert. Alle seine Feinde stellen sich ein, um Rache an ihm zu nehmen. Sie haben es in die Falle gelockt, um es unglücklich zu machen. Sie haben ihm die Ehre genommen und es vor aller Welt schlecht gemacht. Sie nehmen ihm seine Länder, um sich damit zu bereichern. Sie machen es arm, sie lassen es hungern und geben ihm seine Gefangenen nicht zurück. Seinen Kaiser und seine Helden stellen sie vor ihr Gericht. Neben allen Feinden und Gegnern gibt es auch noch edle Nationen. Wie haben Sie immer zu Deutschland gestanden! Sie haben sich als treue Freunde gezeigt und stehen auch jetzt noch zu ihm. Möchte es sich im Laufe der Zeit noch viele solche Freunde erwerben!