Unser Totengräber. Ein Glückwunsch

Unser Totengräber!

Von Josef Heimann

Am morgigen Tage, dem 14. Mai, feiert unser Totengräber Herr Karl Hesse sen. seinen 75. Geburtstag, zugleich auch sein 60-jähriges Dienstjubiläum. Schon in frühem Alter von 14 Jahren musste er seinem alten Vater behilflich sein im Auswerfen von Gräbern. Von dieser Zeit ab gibt es kein Grab auf dem Balver Friedhof, das nicht von seiner Hand geschaufelt worden ist. Mit den beiden vorgenannten Jubiläen verbindet sich noch ein drittes: Das 3000. Grab ist dieser Tage von ihm ausgeworfen worden. 3000 Leichen hat er hinabsinken sehen in jene kühle Gruft, aus der es keinen Entweichen ergibt, und 3000 Mal hat er die drei Vaterunser am Grab mitgebetet, macht insgesamt 9000 Vaterunser. Das ist wirklich eine große Gebetskette, und keiner von uns wird sich rühmen können, 9000 Vaterunser auf dem Kirchhof gebetet zu haben.

Das Niederschreiben(?) eines Vaterunser und Gegrüßt seist du Maria beansprucht einen Raum von 161 cm, 9000 mal ergibt 1449000 cm, gleich nahezu 145 km. Diese Länge wird sich wohl messen können mit der Himmelsleiter, welche Jakob im Traume sah, hoffen wir, dass diese lange Gebetskette auch für unseren Totengräber die Himmelsleiter sein wird.

In früheren Zeiten brauchten die Gräber nicht so tief gemacht zu werden wie heute. Bei den Ausschachtungsarbeiten auf dem alten Kirchhof um die Kirche fand man vielfach zwei Särge aufeinander gestellt, der Oberste war kaum einen halben Meter mit Erde bedeckt. Heute müssen die Gräber anderthalb Meter tief sein, welches auf dem neuen Kirchhof bei dem harten kiesigen Boden keine leichte Arbeit ist. Diese harte, mühselige Arbeit ist in den letzten Jahren dadurch erleichtert worden, dass man angefangen hat, am unteren Ende des Kirchhofs, wo vor 80 Jahren die ersten Leichen bestattet worden sind, die zweite Ernte des Todes niederzulegen. Die Kulturkampfzeit hat unser Totengräber ganz und voll durch gekostet.

Wenn der alte Küster Edmund Höynck die Begräbnisgebete am Grabe zu sprechen begann, hat er oft den kleinen Spaten in dessen zitternde Hände gelegt. In früheren Jahren wurden die Särge an Stricken hinabgelassen und diese in Kreuzform über den Sarg geworfen. Dann musste der Totengräber nachher ins Grab steigen, die Strecke loslösen, um sie den Armen zu leihen, auf denen die Begräbniskosten ohnehin schon schwer lasteten.

In seiner langen Praxis ist nie ein Fall von Scheintod vorgekommen, und sicher wäre unser Totengräber nicht davongelaufen, wenn er ein Klopfen gehört hätte. Wir alle dürfen beruhigt sein, falls ein Fall von Scheintod vorkommen sollte, würde unser Totengräber rasch ein Loch in unseren Sarg schlagen und uns sicher noch in derselben Stunde befreien. Bis jetzt hat sein geübtes Ohr nichts Derartiges entdeckt. Aber einmal ist ihm doch etwas Ungewöhnliches passiert. Eine Leiche, die er so tief wie alle anderen in die Erde getan hatte, war gestohlen worden, ohne dass er es wusste. Als sie später gefunden wurde, musste er nochmals das Grab auswerfen. Es ist das einzige Mal, wo er für ein und dieselbe Leiche zweimal ein Grab auswerfen musste.

In früheren Jahren wurden Leichen von Langenholthausen, Garbeck, Mellen, Beckum, Volkringhausen und Eisborn in Balve beerdigt. Das war die gute alte Zeit für unseren Totengräber. Heute ist er nur noch auf die Balver angewiesen. Wenn auch manchmal auf diesem Gebiete Arbeitsmangel ist, ganz arbeitslos wird er doch nicht.

Wir bringen dem Jubilar unseren herzlichen Glückwunsch, und wünschen ihm einen frohen und langen Lebensabend. Sein Handwerk aber wird er bald seinen Sohn übertragen. Wer jedoch gewillt ist, sich von diesem Veteranen des Kirchhofs begraben zu lassen, wolle sich beeilen, sein Testament zu machen.